Europäischer Rechnungshof in Luxemburg
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Ein Leben zwischen Kraig und Luxemburg

Helga Berger stammt aus der Gemeinde Frauenstein und vertritt seit zwei Jahren Österreich im Rechnungshof in Luxemburg, der die Finanzen der EU kontrolliert. Im ORF Kärnten-Interview erzählte die studierte Juristin über ihre Arbeit, das Leben in Luxemburg und das Pendeln nach Kärnten, wo sie im Wald Erholung findet.

Protokollarisch gesehen die Aufgabe von Helga Berger mit der Position eines EU-Kommissars gleichzusetzen. Auf die Frage, wie sie damit umgehe, meinte Berger: „Eigentlich habe ich mir darüber nie Gedanken gemacht. Ich habe die Funktion, weil ich durchaus eine gewisse Prüfungserfahrung mitbringe, weil ich EU-Erfahrung habe und mir der Job Spaß macht.“

Der Europäische Rechnungshof ist eine der sieben Europäischen Institutionen. „Er ist sozusagen das finanzielle Gewissen der EU. Wir haben 900 Mitarbeiter, sind in Luxemburg angesiedelt und prüfen immer dann, wenn europäisches Geld im Spiel ist.“ Es werden Sonderberichte zu verschiedenen aktuellen Themen erstellt, die dann auch veröffentlicht werden.

Prüfthemen stets am Puls der Zeit

Die Kommission gilt als der Hauptprüfungskunde, „aber selbstverständlich schauen wir uns auch auf Mitgliedsstaatenebene an, ob das europäische Geld auch wirtschaftlich und zweckmäßig verwendet wird“, so Berger. Künftig sollen die Mitgliedsstaaten stärker in den Focus genommen werden, denn es werde immer wieder danach gefragt, wer es in Europa gut mache und wer nicht, so die Expertin: „Diese Fragen wollen wir auch beantworten.“

Der EU-Bürger profitiere aufgrund der Aktualität der Prüfthemen, etwa was den Bereich der Regional- und Strukturförderungen betrifft. So werden derzeit etwa die Mikrochipinitiative oder die Wasserstoffinfrastruktur geprüft: „Wir schauen uns aber auch an, wie europäisches Geld im Interesse behinderter Menschen verwendet wird. Wir prüfen die Digitalisierung der Schulen.“

„EU wird durch Krisen stärker“

Als Beispiel für etwas, das sich nach so einem Prüfbericht geändert habe, nennt Berger das sogenannte Blacklisting: „Das sind schwarze Listen, auf die unzuverlässige Vertragspartner und Fördernehmer der EU kommen und die künftig kein europäisches Geld mehr bekommen sollen. Die Prüfung hat gezeigt, dass ein Hauptproblem ist, dass der gesamten Bereich der Agrar- und Regionalförderungen ausgenommen ist. Die Kommission hat jetzt einen neuen Entwurf der Haushaltsordnung vorgelegt, wo genau diese Bereiche – drei Viertel des Budgets, die bisher nicht enthalten waren – eingezogen werden sollen. Wenn das erreicht wird, ist das sicher ein wesentlicher Schritt zur Betrugsprävention in Europa.“

Helga Berger
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Helga Berger

Die 49-Jährige sagt, sie glaube, dass die EU gezeigt habe, dass sie in Krisen stärker werde: „Es ist sicherlich die derzeitige Situation mit dem Krieg in der Ukraine für uns unvorstellbar. Mit der Energiekrise ist eine große Herausforderung verbunden. Ich glaube, dass die EU mit den zuletzt beschlossenen Maßnahmen wie dem Energiesparpaket durchaus zeigt, dass sie reagieren kann. Ich glaube, dass das mittel- und langfristig zu mehr Zufriedenheit mit der Europäischen Union führen wird.“

„Versuche Einblick in Arbeit zu geben“

Dazu befragt, wie sie den Informationsfluss zurück nach Österreich empfinde, und ob es passiere, dass Politiker die Schuld an gewissen Entwicklungen der EU geben, meinte Berger: „Ich habe vor 25 Jahren, nach meinem Studium in Graz, im Europäischen Parlament zu arbeiten begonnen. Es hat mich damals schon beschäftigt, dass wir es nicht wirklich schaffen, in Österreich die Vorteile dieser Gemeinschaft der Union tatsächlich zu erzählen und weiterzugeben.“

Sie selbst versuche daher auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten, an der Sichtbarkeit zu arbeiten. Auf sozialen Medien poste sie über ihre Arbeit und erzähle, was damit bewirkt werde. Das Feedback sei durchwegs positiv, so die gebürtige Kärntnerin: „Ich freue mich auch über Einladungen zu Vorträgen, Diskussionen und jede Besuchergruppe, die nach Luxenburg kommt. Das sind viele einzelne Schritte, die hoffentlich dazu beitragen, dass man weiß, dass Österreich in der Europäischen Union gut vertreten ist.“

„Für mich zählen Zahlen und Fakten“

Ihr Verhältnis zur Macht sei angesichts ihrer Tätigkeit im EU-Rechnungshof entspannt: „Das, was für mich zählt, sind die Zahlen und Fakten. Ich bin ein detailverliebter Zahlenmensch. Wenn etwas falsch gemacht wurde geht es darum, das aufzuzeigen und Vorschläge zu machen, wie man Geld besser einsetzen kann. Das ist mir ein Anliegen und ich versuche, dazu beizutragen.“

Berger verbrachte ihre Kindheit und Jugend auf einem Bauernhof in Kraig. Ihr Vater war freiheitlicher Bürgermeister. Das habe sie durchaus geprägt: „Ich bin damit aufgewachsen, dass wir die Themen, die die Gemeindebürger beschäftigt haben, am Mittagstisch diskutiert haben. Deshalb weiß ich auch, wie wichtig es manchmal ist, die kleinen Probleme zu lösen: „Mein Papa war mehr als 30 Jahre lang Bürgermeister. Er hat immer zugehört und war für die Menschen da. Das habe ich von ihm mitgenommen.“

Der Schritt in die Politik habe sie selbst jedoch nie gereizt: „Ich bin jemand, der die zweite Reihe liebt und gerne im Hintergrund vorbereitet. Das öffentliche Präsentieren ist nicht meine Stärke. Ich mache es als Mitglied im Europäischen Rechnungshof im Rahmen meiner Möglichkeiten sehr gerne, aber das ist nichts, was ich wirklich anstrebe.“

Nein-Sagen will gelernt sein

Mit 27 Jahren wurde sie Kabinettschefin in Wien. Damals habe sie keine Zeit gehabt, um darüber nachzudenken, ob diese Aufgabe nicht zu groß für sie sei: „Es war einfach zu arbeiten. Das habe ich vom ersten Moment an getan. Im September 2000 war das durchaus eine herausfordernde Zeit. Ich war natürlich sehr jung und es hat damals auch Zweifler gegeben.“ Positiv in Erinnerung blieb ihr, als ihr ihre damalige Chefin nach einem halben Jahr sagte, dass sie die Minister selbst anrufen würden, weil sie (Berger, Anm.) immer nein sagen würde: „Dieses Nein-Sagen habe ich mitgenommen. Ich bin nicht diejenige, die sofort zustimmt, sondern die alles kritisch hinterfragt.“

Nach dem Platzen der damaligen Regierung ging sie zurück ans Wiener Landesgericht: „Ich finde, dass man mit einem Jusstudium alleine noch nicht eine fertige Berufsausbildung hat. Ich wollte etwas Fertiges haben, weil mir die Unabhängigkeit immer sehr wichtig war. Der Richterberuf ist für mich der Inbegriff der Unabhängigkeit. Ich habe das Gerichtsjahr gemacht, die Richterprüfung abgeschlossen und eine Zeit lang als Strafrichterin am Bezirksgericht Hernals in Wien gearbeitet.“ Die menschliche Erfahrung, die sie daraus mitgenommen habe, werde sie nie vergessen: „Diese Zeit hat mich sehr geprägt und es war gut, dass ich es gemacht habe, aber ich habe dann irgendwann gesehen, dass ich auch andere Herausforderungen gerne annehme."

Leidenschaftlicher Workaholic

Helga Berger sieht sich selbst als Workaholic, weil sie darin nichts Negatives empfindet: „Es ist ein Ausdruck meiner Freude an der Arbeit. Ich beginne jeden Rechnungshofbericht mit einer gewissen Wissbegier. Es freut mich auch dann den Menschen zu erklären, warum wir es geprüft haben und was man damit erreichen kann. Wenn man Spaß an der Arbeit hat ist man gerne auch ein Workaholic.“

Eine zeitlang war Helga Berger auch im Finanzministerium tätig. Als Sektionschefin war sie für das Budget zuständig. Unter der Regierung von ÖVP und Grünen wurde sie als Mitglied im Rechnungshof nominiert, wo sie im parlamentarischen Verbindungsdienst tätig war: „Ich habe in der Zeit gelernt, dass die Äquidistanz zu allen Parteien das Um und Auf ist. Genauso versuche ich auch jetzt mein Amt auszuüben. Ich versuche den Kontakt mit allen Fraktionen im Europäischen Parlament zu pflegen.“

Chancen zur Erweiterung des Horizonts nutzen

Jungen Menschen, die eine internationale Karriere anstreben, würde sie raten, Türen, die sich auftun, einfach zu nehmen und Chancen zu ergreifen: „Ich freue mich immer wieder, wenn ich junge Kolleginnen und Kollegen aus Österreich und Kärnten im Europäischen Rechnungshof begrüßen kann. Wir haben mehrere Praktika laufen. Wer immer Interesse hat, im Europäischen Umfeld zu arbeiten, sollte diese Praktika nutzen. Ich glaube, dass es eine Basis ist, die hilft – egal, was man im späteren Leben machen möchte, weil das einfach den Horizont erweitert.“

Berger weiß kulinarische Vielfalt Luxemburgs zu schätzen

Ihre neue Heimat Luxemburg sei ein sehr offenes Land: „Luxemburg Stadt hat ein sehr nettes, historisches Zentrum, aber natürlich auch aufgrund des Standortes europäischer und internationaler Institutionen ein sehr multikulturelles Umfeld.“ Sie schätze es, an Sonntagen ein bisschen herumzufahren und gutes Essen zu genießen. Die luxemburgische Küche biete eine gute Mischung aus der noblen französischen und der bäuerlichen deutschen Küche. „Das Essen ist durchaus deftig mit vielen Saucen. Es gibt auch Sauerkraut und Würstel, aber wir haben aber auch sehr feine französische Elemente.“

Sie koche gerne auch selbst, um abzuschalten und zu entspannen: „Es kann für mich kein Arbeitstag so schlimm sein, dass er nicht nach einem gemeinsamen Essen mit Freunden und Familie wieder ok ist. Das ist für mich die schönste Entspannung.“ Nach dem Aufstehen in der Früh trinke sie eine Tasse Kaffee, für den restlichen Tag sei sie dann nicht mehr Kaffeetrinkerin, sondern greife lieber auf Tee zurück.

Austausch mit Kollegenschaft bei Reindling und Kaffee

In Luxemburg sei das Kaffeehaussitzen, wie man es aus Österreich kennt, eigentlich nicht verbreitet. Sie habe aber versucht, im Rechnungshof einen Teil dieser Gewohnheiten einzuführen: „Ich lade meine österreichischen Kolleginnen und Kollegen im Rhythmus von sechs bis acht Wochen immer wieder zu einem Austausch ein. Wir sitzen bei Kaffee, Kärntner Reindling oder Selbstgebackenem zusammen. Ich versuche, etwas reinzuhören, was sie in den verschiedenen hierarchischen Ebenen bewegt.“

Acht der 27 Mitglieder ihres unmittelbaren Arbeitsumfeldes seien Frauen. Beim gemeinsamen „Womens Coffee“ gehe es darum, das Frauennetzwerk im Rechnungshof zu stärken: „Wir sind etwas besser vernetzt als die männlichen Kollegen. Das ist wichtig, weil die Geschlechtergleichheit noch nicht so gegeben ist.“

Steg am Kraiger See
ORF/Peter Matha
Der Kraiger See

„Pendeln bringt auch Vorteile“

Die Single-Frau pendelt regelmäßig zwischen Luxemburg, Wien und Kärnten. Das Leben aus dem Koffer sei nicht immer einfach, aber man gewöhne sich daran, sagt Berger: „Wenn ich nach Kärnten komme, bleibt die Arbeit etwas zurück. Ich arbeite zwar auch in Kärnten gerne und viel, aber die Distanz und das Heimkommen ist schön. Ich genieße es, in Kraig in den Garten oder Wald zu gehen. Es gibt also durchaus auch Vorteile, die mit dem Pendeln verbunden sind.“

Der Austausch mit Freunden, der Familie oder Nachbarn in Kärnten sei für sie auch oft in beruflicher Hinsicht sehr hilfreich: „Wenn ich glaube, dass ein Problem besonders groß ist und ich ihnen davon erzähle und sie haben noch nichts davon gehört, dann weiß ich, dass es vielleicht doch nicht so wichtig ist.“