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Gesundheit

ME/CFS: Die vernachlässigte Krankheit

ME/CFS klingt kompliziert und ist es auch als Krankheit: Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome. Da auch Long Covid zu ME/CFS werden kann, bekommt diese Multisystemerkrankung nun mehr Aufmerksamkeit. Heilung gibt es bislang keine, auch die Diagnostik ist aufwendig.

Seit 1995 wird am 12. Mai international der ME/CFS-Awarenesstag begangen, um diese chronische Krankheit bekannter zu machen. Zu diesem Zweck werden viele öffentliche Gebäude weltweit blau angestrahlt, in Klagenfurt ist es der Lindwurm.

Blauer Lindwurm zum MECFS Tag
Stadt Klagenfurt
Klagenfurt macht auf die Krankheit aufmerksam

Woher ME/CFS genau kommt, ist noch nicht erforscht. Experten vermuten, dass es bei manchen Menschen nach Virusinfektionen auftritt, wenn das Immunsystem überreagiert, eine Autoimmunreaktion also. Oder ein Virusrest schlummert noch im Körper, man hat – oft längere Zeit später – eine andere Infektion und ME/CFS bricht dann aus. Eine neue Hypothese spricht von Entzündungen im zentralen Nervensystem.

Gesichert sind diese Hypothesen aber noch nicht. In Deutschland beginnt derzeit eine weit reichende Forschungsarbeit an der Charite Berlin, finanziert vom deutschen Gesundheitsministerium, das die Wichtigkeit anlässlich Long Covid erkannte. Die Symptome sind vielfältig und das macht auch eine Diagnose unter Umständen aufwendig. Allen gemein ist bleierne Erschöpfung, die durch Schlaf nicht gelindert wird, im Gegenteil, viele Betroffene haben zusätzlich Schlafstörungen.

Kreislaufregulation gestört

Viele haben Schmerzen, weil auch Nervenbahnen betroffen sind, von Kopf- zu Glieder- und Muskelschmerzen oder unspezifische Schmerzen am ganzen Körper. Manche leiden auch am posturalen Tachykardiesyndrom (POTS). Hier funktioniert der Blutdruck nicht richtig, sobald sich die Patienten aufrichten, werden sie schwindelig, der Puls rast und sie sind benommen. In den schwersten Fällen sind die Betroffenen nicht mehr fähig, aufzustehen und sind zur Gänze Pflegefälle. Deswegen ist es auch nicht mehr möglich, etwa in einem Rollstuhl das Haus zu verlassen, weil Kranke nicht aufrecht sitzen können.

Verschlechterung nach Anstrengung

Ein starkes Kennzeichen von ME/CFS ist die so genannte post extertion malaise, damit ist ein Zusammenbruch nach Anstrengung jeglicher Art gemeint. Es geht den Betroffenen nach Bewegung oder auch geistiger Anstrengung schlechter, diese Verschlechterung nennt man Crash und sie kann sogar dauerhaft sein. Daher warnen Kranke und Ärzte vor Rehas mit „Aktivierung“, die zu massiver Verschlechterung führen kann. Jeder Fall muss individuell behandelt werden.

Es können Männer und Frauen aller Altersgruppen betroffen sein, doch es scheint eine Häufung unter jüngeren Frauen zu geben, wie auch bei Long Covid. Schwer Betroffene schildern ME/CFS als langsames Verschwinden aus dem eigenen Leben, weil sie hausgebunden und arbeitsunfähig sind. Freunde zu treffen oder Besuch zu empfangen ist oft nicht mehr möglich, weil zu anstrengend.

Immer wieder zur Ruhe kommen

Eine besondere Bedeutung kommt dem Pacing zu, sich immer wieder zwischen Tätigkeiten – sofern sie noch möglich sind – auszuruhen. Betroffene schildern, dass das nicht vergleichbar sei mit einem Nickerchen zu Mittag, es sei eine Notwendigkeit, um dem Körper die Möglichkeit zu geben, sich zu erholen und muss genau eingeplant werden. Da kann schon das Duschen zur Kraftanstrengung werden, die stundenlange Pausen bedingt. Arbeitsfähig sind nur die leichten Fälle, doch auch sie brauchen viele Ruhepausen und berichten von Konzentrationsproblemen.

„Brain fog“, Hirnnebel wird ebenfalls als Symptom häufig geschildert und zwar sowohl bei Long Covid also auch ME/CFS. Laut Neurologen sei diese Bezeichnung aber verharmlosend, es handle sich hier um Hirnschäden, die auch durch eine Infektion mit SARS-CoV-2 ausgelöst werden können. In Scans konnte aufgezeigt werden, dass die graue Gehirnmasse nach einer Covid-19-Erkrankung abnahm.

Keine psychosomatische Störung

Viele Erkrankte weltweit werden als psychisch krank oder psychosomatisch krank von Ärzten eingestuft, doch ME/CFS ist eine Multisystemerkrankung. Der Wiener Neurologe Michael Stingl hat sich dieser Krankheit verschrieben und ist auf Monate ausgebucht. Er fordert mehr Forschung in diesem Bereich und dass Ärzte genauer hinschauen. Er schätzt, dass 0,4 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher betroffen sind, also rund 30.000 Menschen. Durch SARS-CoV-2 werden es mehr, was ME/CFS auch mehr in den Fokus der Medizin rückt. Denn derzeit sei die Versorgung der Patienten in Österreich schlecht, so Stingl auf seiner Homepage.

„Kaum Anlaufstellen für Betroffene“

Auch die Österreichische Gesellschaft für ME/CFS bestätigt dies anlässlich des Awareness-Tags. In Österreich gebe es demnach keine spezialisierte und öffentlich finanzierte Anlaufstelle für ME/CFS Betroffene. Das liege auch daran, dass das Thema in der Forschung und damit unter Ärztinnen und Ärzten bisher wenig beachtet worden sei, so die Gesellschaft in einer Aussendung. Das ändere sich international langsam. Für Betroffene vergehen bis zur Diagnose wertvolle Jahre, die oft mit falscher und sogar für den Gesundheitszustand schädlicher Behandlung verbracht werden. Aktuell gebe es keine zugelassenen Medikamente oder Heilung der Erkrankung.

Und weiter: „Long Covid verschärft die bereits sehr schlechte medizinische und soziale Versorgungslage der Betroffenen weiter. Eine aktuelle Untersuchung der Charité Berlin sowie viele Erfahrungsberichte von Covid-19- Erkrankten, die auch nach offizieller Genesung mit extremer Erschöpfung und massiv eingeschränkter Leistungsfähigkeit kämpfen, zeigen: Aus Covid-Patientinnen und Patienten können ME/CFS Betroffene werden.“

Austausch auf Social Media

Viele Betroffene können sich nur noch im Haus aufhalten, einige stehen auf Social Media miteinander in Kontakt. Sie informieren über diese Kanäle über ihr Schicksal und riefen sogar eine Spendenaktion für die Forschung ins Leben. Sie hoffen, dass mit dem offenen Umgang auch das Bewusstsein dafür steigt, dass ME/CFS jeden treffen kann, genau so wie Long Covid.