Polster mit Selbstwert-Sprüchen
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Gesundheit

Essstörungen: Heilung durch frühe Therapie

Mehr als 90 Prozent der jungen Menschen mit Essstörung sind Mädchen. Im Krankenhaus Waiern bei Feldkirchen werden Therapien für alle Arten von Essstörungen angeboten. Je rascher mit der Therapie begonnen wird, umso eher bestehen Heilungschancen.

Ärzte und Psychologen warnen schon seit längerem, dass die Pandemie vermehrt zu Essstörungen führt. Vor allem bei jungen Menschen bildet der Kult um Schönheit und um den eigenen Körper einen idealen Nährboden für diese Krankheit.

Spezialklinik für Essstörungen

Im Krankenhaus Waiern bei Feldkirchen werden Menschen mit Essstörungen behandelt. Mehr als 90 Prozent der Betroffenen sind junge Mädchen.

Auf Vertrauensaufbau folgen erst Schritte

Die klinische Gesundheitspsychologin Christine Willroider sagt: „In den ersten beiden Wochen werden vertrauensvolle Beziehungen aufgebaut, sie sollen sich gewöhnen an die neue Umgebung, an neue Verhaltensweisen und ihre Mitpatienten. Danach wird trainiert, es geht um die Themen Achtsamkeit, wir vermitteln die Hintergründe – wie entsteht eine Essstörung, dann geht es um Stressbewältigungstraining, am Selbstwert wird gearbeitet und unterstützend ist dabei die Ernährungsberatung.“

Tisch zum gemeinsamen Essen als Therapie
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Gemeinsames Essen soll das Selbstbewusstsein stärken

Gedanken kreisen in Endlosschleife ums Essen

Genussvoll Obst schälen, gemeinsames Kochen und Freude am Essen haben – all das müssen Menschen mit einer Essstörung erst wieder lernen. Immerhin handelt es sich dabei um eine psychische Erkrankungen.

Willroider: „Die Gedanken unserer Klienten beschäftigen sich durchwegs mit Kalorienzählen, mit Angstgedanken. Die Patienten versuchen Ernährung so gut es geht zu vermeiden, dadurch passiert es oft, dass sie das Essen verlernen und ein verzerrtes Bild von Ernährung haben. Wir versuchen von Anfang an, diese Verhaltensweisen am gemeinsamen Tisch zu verändern, damit die Gedanken und Gefühle sich verändern und stabilisieren können. Es geht darum, sich mehr zuzutrauen, sich zu nähren, damit andere Themen zählen als das Kalorienzählen oder die Angst vor dem Essen“.

Ängste vor dem Essen werden abgebaut

Es gibt eine Essensbegleitung beim Frühstück, de, Mittag- und Abendessen und bei der Jause, die Ernährung wird – der Ernährungspyramide entsprechend – auch selbst von den Patientinnen und Patienten mit zubereitet. Willroider: „Natürlich ist das alles am Anfang sehr angstbehaftet und mit Zweifel, Unsicherheit und Widerstand verbunden. Aber die Patienten lernen auch voneinander und bekommen durch die Ernährungsberatung auch viel Information, damit sie die Fehlinformationen wieder verlernen können.“

Um Erbrechen zu verhindern, werden die Patienten gebeten, auch nach dem Essen für eine Stunde bei Tisch zu bleiben. Dementsprechend lässt sich einiges verhindern, außerdem wird über Labor- und Gewichtskontrolle der Therapieerfolg angestrebt. Emotionale und soziale Fähigkeiten werden geschult. Beim gemeinsamen Essen in der Gruppe werden Ängste abgebaut, Gespräche kreisen um andere Themen, als den eigenen Körper und das Gewicht. Das Motto lautet „Soviel Kontrolle wie nötig, aber sowenig wie möglich“.

Essen als Therapie
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Essen jagt Menschen mit Essstörungen Angst ein, diese muss zuerst abgebaut werden, damit Heilung möglich ist.

Vielfältige Anzeichen deuten auf Krankheit hin

Zum Krankheitsbild gehört die Annorexie, also die Magersucht, die Bulimie, die Ess-Brechsucht aber auch die reine Esssucht – bezeichnet auch als Binge-Eating. Wie aber kann man die Krankheit erkennen? Dazu sagt Michaela Leopold, die ärztliche Leiterin in der Spezialklinik: „Zeichen, an denen man eine Essstörung erkennen kann, sind einmal das Offensichtliche: Der rasche Gewichtsverlust, häufiges Wiegen, intensive Beschäftigung mit Kalorienzählen, aber auch Verhaltensweisen wie Ausreden zu erfinden, um einzelne Mahlzeiten auszulassen. Wie: ’Ich habe schon gegessen", oder ‚Ich habe Bauchweh‘. Aber auch exzessiver Sport ist ein Anzeichen, bei der Bulimie aber auch, wenn Angehörige für längere Zeit am WC verschwinden.“

Sollten solche Anzeichen zu bemerken sein, sei es wichtig, nicht wegzuschauen und auch nicht allzu lange zu zögern. Denn, so Leopold: „Essstörungen werden sehr rasch chronisch und die Heilungschancen sind am Anfang am größten. Man sollte das also ernst nehmen und ohne Druck ein vertrauensvolles Gespräch suchen, sowie wenn nötig zur Beratung motivieren“.

Pro Turnus zwölf Patientinnen und Patienten

In Waiern werden pro Turnus zwölf Patientinnen und Patienten aufgenommen und bleiben acht Wochen lang in Behandlung. Ein umfangreiches Therapeutenteam sorgt dafür, dass Menschen mit Essstörungen langsam wieder lernen, ihren Körper besser wahrzunehmen und wieder Mut fassen, sich selbst zu schätzen.

Never give up Spruch
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Es braucht Durchhaltevermögen, denn der Weg zurück zu einem normalen Essverhalten kann lange dauern.

Höchste Sterberate aller psychischen Erkrankungen

Wie ernst die Erkrankung ist, zeigt die hohe Sterblichkeitsrate bei Magersucht. Die Mortalität ist die höchste aller psychischen Erkrankungen. Michaela Leopold: „Diese liegt bei 15 Prozent. Das ist schon ein Grund, auf die Hinweise zu achten und die Erkrankung ernst zu nehmen.“

Dennoch sind die Heilungschancen gut, vor allem bei rechtzeitiger und richtiger Therapie: „Wenn man erst kurz erkrankt ist, sind die Heilungschancen deutlich besser. Wenn sich das über viele Jahre zieht, sinken die Heilungschancen.“ Der Aufenthalt in der Klinik ist kostenlos, auch ohne Selbstbehalt. Nach Verhandlungen mit dem Land Kärnten wird die Therapie von der öffentlichen Krankenhaus-Finanzierung übernommen.