Mutter gibt Anna das Fläschchen
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Soziales

Menschen mit Behinderung in der CoV-Krise

Die Problembereiche für Menschen mit Behinderung haben sich im Jahr 2021 verschärft, nicht nur durch die CoV-Pandemie, heißt es von der Anwaltschaft für Menschen mit Behinderung des Landes Kärnten. Auch die Teuerungen machen den Menschen große Sorgen.

Isabella Scheiflinger, die Anwältin für Menschen mit Behinderung, sagte anlässlich des Tages der Menschen mit Behinderung, arbeitssuchende Menschen mit gesundheitlichen Vermittlungseinschränkungen seien neben allen anderen Problemen häufiger und deutlich länger von Langzeitarbeitslosigkeit bedroht. Aber auch die Mehrfachbelastung von Familien mit behinderten Kindern und die daraus resultierenden Sorgen wie ein drohender Arbeitsplatzverlust aufgrund der vermehrten Betreuungspflichten durch Hort- oder Klassenschließungen seien ein wichtiges Thema.

Isabella Scheiflinger Anwältin für Menschen mit Behinderung
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Isabella Scheiflinger

Betreuungsnotstand und Zukunftsängste

Ein weiterer häufiger Grund für eine Kontaktaufnahme mit der Anwaltschaft ist derzeit die Gefahr der Vereinsamung. Viele Menschen mit Behinderung sind alleinstehend und haben kaum oder keine Sozialkontakte. Die letzten Monate zeigen deutlich, dass bei vielen Menschen einfach auch „die Luft draußen“ ist und die schwierige Zeit Spuren hinterlassen habe, so Scheiflinger.

Die Covid-19-Krise habe aber auch bei vielen Menschen mit Behinderung zu individuellen Zukunftsängsten und Belastungen geführt. Eine große Sorge ist dabei die Gefahr eines „Betreuungsnotstandes“, also die Gefahr, dass etwa die mobile Assistenz oder Pflege nicht mehr sichergestellt werden könne. Scheiflinger sagte dazu: „Mehreren Trägerorganisationen fehlen derzeit die benötigten Fachkräfte oder aber es fallen Fachkräfte krankheitsbedingt aus. Dadurch kann es auch zu Engpässen und Ausfällen im Bereich der unterschiedlichen Assistenzleistungen kommen.“

Tag der Menschen mit Behinderung

Am Donnerstag ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung. Wir besuchen eine Familie mit zwei behinderten Kindern und sprechen mit Behindertenanwältin Isabella Scheiflinger.

Mutter: Man wächst in die Betreuung hinein

Ein Beispiel für einen Betreuungsnotstand ist die Familie Maningi. Tochter Anna ist neun Jahre alt und braucht rund um die Uhr Betreuung. Das Mädchen ist mit Trisomie 13, einer schweren genetischen Erkrankung, auf die Welt gekommen. Sehen kann Anna nur ein bisschen auf einem Auge, um so mehr liebt sie Spielzeug, das leuchtet und blinkt und vor allem Musik und Laute macht. Ihre Mutter Renate Maningi ist Schritt für Schritt mit den Herausforderungen gewachsen.

Mutter Renate Maningi: „Mit der Zeit lernt man das alles, wie das versicherungstechnisch geht, mit dem Behindertenausweis, mit Unterstützungen und so weiter. Man wächst hinein. Mir fällt im Umgang mit der Anna gar nicht mehr auf, wenn ich was Besonderes mache, ich tu’ es einfach.“

Anna mit einem Spielzeug am Tepich sitzend
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Anna sieht nur sehr wenig und liebt deswegen Spielzeug, das Geräusche macht und leuchtet

Mehrfachbelastung in Arbeit und zu Hause

Renate Maningi ist Lehrerin, ihr Ehemann Schichtarbeiter in einer Textilfirma. Anna wird in der Volksschule im Rahmen einer Kleinstklasse betreut. Doch in Corona-Zeiten steigt die Belastung. Als Lehrerin muss die Mutter nun ihre Schüler in der Schule betreuen und die Schüler zu Hause im Distance Learning. Gleichzeitig gibt es keine Betreuung für Anna, weil ihre Klasse gesperrt wurde. „Das ist eine Katastrophe, da arbeite ich oft bis in die Nacht hinein.“

Zwar wurde der Familie Hilfe durch mobile Assistenz im Rahmen von zwei Mal 30 Stunden im Monat zugesagt. Doch den Trägerorganisationen fehlen die Fachkräfte oder Fachkräfte fallen jetzt vermehrt krankheitsbedingt aus. Und so hat Renate Maningi meist nur einen Wunsch, nämlich mehr Zeit zu haben.

Mutter füttert Anna mit einem Löffel
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Die Mutter wünscht sich mehr Zeit für ihr Kind

Viele Fragen zur Impfpflicht

Auch die aktuell diskutierte Impfpflicht sei Thema mehrfacher Anfragen an die Anwaltschaft, sagte die Behindertenanwältin: „Zu berücksichtigen ist dabei jedenfalls, dass es auch Menschen mit Behinderung gibt, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen dürfen“ hält Scheiflinger fest. Sie sind daher weder Impfverweigerer noch Impfgegner.

„Wir haben hier auch schon Rückmeldungen bekommen, dass sich betroffenen Personen Dritten gegenüber praktisch rechtfertigen oder entschuldigen mussten, dass sie sich nicht impfen lassen können“ ist Scheiflinger irritiert darüber, wie einzelne Bevölkerungsteile auf behinderungsbedingte Einschränkungen reagieren. Die Anwaltschaft fordert jedenfalls, bei zukünftigen gesetzlichen Regelungen sicherzustellen, dass diese Personengruppe bestmöglich geschützt und nicht benachteiligt werde.

Leistungen aus Sozialhilfe verbessert

Es gebe aber auch positive Aspekte aus dem vergangenen Jahr zu berichten: So wurden z.B. zum Jahreswechsel die Leistungen für Menschen mit Behinderung aus dem Bereich der Sozialhilfe verbessert. Auch im Rahmen des Landesetappenplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (LEP) habe es im vergangenen Jahr positive Entwicklungen gegeben. So konnten die bestehenden Wohn- und Beschäftigungsangebote aufgestockt werden.

Scheiflinger wies auch darauf hin, dass wesentliche Umsetzungsschritte des LEP noch offen sind, wie z.B. die gesetzliche Gleichstellung von Menschen mit psychischen Behinderungen bei Leistungen nach dem Kärntner Chancengleichheitsgesetzes. Darüber hinaus benötige insbesondere diese Zielgruppe dringend mehr mobile, Assistenzleistungen und mehr kostenlose Therapieangebote.