7.000 Euro winken dem Gewinner/der Gewinnerin des BKS-Publikumspreises, der von der BKS-Bank zur Verfügung gestellt wird und für den am Samstag zwischen 15.00 und 20.00 Uhr online abgestimmt werden konnte.
Seit 2009 vergibt die Landeshauptstadt Klagenfurt am Wörthersee ein sechsmonatige Stadtschreiberstipendium in der Höhe von 6.000 Euro. Stadtschreiberin oder Stadtschreiber wird die Gewinnerin oder der Gewinner des BKS Bank – Publikumpreises.
„Quarz“ beendete Lesereigen
Zum Abschluss der Lesungen der 45. Tage der deutschsprachigen Literatur kamen am Samstagnachmittag mit Nava Ebrahimi und Nadine Schneider noch einmal zwei Autorinnen auf die virtuelle Bühne, die sich in ihren Texten den Traumata von entwurzelten Familien widmeten.
„Quarz“ warf viele Fragen auf
Die Deutsche Nadine Schneider wurde von Brigitte Schwens-Harrant eingeladen, um ihren Text „Quarz“ vorzustellen – mehr dazu in TEXT Nadine Schneider (D).
Eine Familie zieht aufs Land, in ein Dorf. Quarz ist im Boden des Gartens. Das Haus wird mit Erde beworfen. Die Ich-Erzählerin erinnert sich an die Kindheit mit den Großeltern im Haus, wie es ist, als Fremde in ein Dorf zu kommen, wo jeder jeden kennt. Dann wird das Auto zerkratzt und die Erzählerin denkt zu wissen, dass es ein Junge war, den sie einmal getroffen hat und der böse auf sie ist, weil sie ihn nicht wiedergesehen hat. Doch sie erzählt es niemandem.
Während Kaiser „selten so treffliche Schilderungen eines Dorflebens gelesen“ hat, wurden eben diese Szenen von Kastberger kritisiert, der sich an Adalbert Stifters „Bunte Steine“ erinnert fühlte und sich die Frage stellte, ob die Bilder heute noch richtig seien.
Tingler fand den Text „streckenweise sehr uninspiriert“, die Schilderung dörflicher Enge sei „mittlerweile obsolet“. Dem widersprachen Brigitte Schwens-Harrant, die den Text eingeladen hatte, und Wilke, die das Dorf als „Metapher für das Kontinuum von Zeit“ verstand und dem Text vor allem durch die Hinweise auf Rassismus „außerordentliche politische Aktualität“ attestierte.
Michael Wiederstein waren die Schilderungen zu langsam, der Text sei einfach nur sehr „korrekt“. Und so endete der letzte Lesetag mit einer lebendigen Debatte über althergebrachte Bilder und zeitlose Motive – mehr dazu in Jurydiskussion Nadine Schneider.
„Der Cousin“ von Nava Ebrahimi
Als dritte und vorletzte Autorin am dritten Lesetag las am Samstag die in Teheran geborene, in Deutschland aufgewachsene und seit 2012 in Graz lebende Autorin Nava Ebrahimi. Sie wurde von Klaus Kastberger nominiert, ihr Text trägt den Titel „Der Cousin“ – mehr dazu in TEXT Nava Ebrahimi (A).
Die Ich-Erzählerin besucht ihren Cousin Kian in New York, wo er ein berühmter Tänzer wurde. Sie ist Autorin und hat eine er ist der Star der Paul Taylor Dance Company. Es geht um etwas, das dem Cousin mit zwölf Jahren passiert ist, es wird nicht ausgesprochen. Er führt sie in das Theater, in dem sie das Gefühl hat, dass jemand sich mit ihnen dort befindet, doch sie sieht niemanden. Er bittet sie, ihm den Teil ihres Buches vorzulesen, in dem es um ihn geht. Im Buch fliehen Mutter uns Sohn mit gefälschten Papieren aus dem Iran, der Vater bleibt zurück. Die Papiere werden in Bangkok entdeckt, die Mutter kommt in ein Frauengefängnis, der Zwölfjährige in ein Männergefängnis.
Über dieses halbe Jahr und was dort mit ihm geschah wird nicht gesprochen. Eine Stimme vom Band ertönt im Theater, er tanzt, was mit ihm im Gefängnis geschehen war. Die Erzählerin hält es nicht mehr aus, sie will fliehen und die Tür öffnen. Plötzlich sieht sie das Publikum, sie war unwissentlich Teil einer Performance ihres Cousins. Die Jury fand darin spannenden Diskussionsstoff – mehr dazu in Jurydiskussion Nava Ebrahimi.
Dana Vowinckel eröffnete dritten Lesevormittag
Den Anfang am dritten Lesetag machte die deutsche Autorin Dana Vowinckel mit ihrem Text „Gewässer im Ziplock“ – mehr dazu in TEXT Dana Vowinckel (D). Eingeladen wurde sie von Mara Delius.
Der Text erzählt von Margerita, einem jüdischen Mädchen, ihrem Vater, dem Vorbeter der Gemeinde in Berlin und den Großeltern von Margerita in Chicago, bei denen das Mädchen zu Besuch ist und es dort hasst. Sie vermisst den Vater in Berlin und möchte zu ihm fahren. Doch die Großeltern, die sehen, dass sie in den USA unglücklich ist, beschließen, sie zu ihrer Mutter nach Israel zu schicken. Der Text endet am Flughafen auf dem Weg nach Jerusalem, wo Margerita eigentlich auch nicht hinmöchte, weil sie das Land nicht kennt.
Vea Kaiser sagte zum Auftakt der Jury-Diskussion, die Wahl einer Familiengeschichte, die aus zwei Perspektiven – jener des Vaters und jener der Tochter – zu erzählen, sei mutig. Es sei sehr gut gelungen.
Juryvorsitzende Insa Wilke unterstrich, die Autorin habe ein gutes Gefühl dafür, wie viele Wörter es brauche, um eine Vorstellung der Charaktere zu geben.
Brigitte Schwens-Harrant würdigte, dass der Text „den Leser schön in eine Atmosphäre hinein“ ziehe. Sie merkte an, dass der Text teilweise sprachlich auch schlampige Stellen und Brüche enthalte.
Für Klaus Kastberger zeigte die Lesung, dass das Tempo der Emotionalität des Textes angepasst sei. Der Text bewege sich in einem „emerging market“. Er zeigte sich fasziniert von dem Satz „Schreiben ist für mich wie unter Wasser atmen“ aus dem Vorstellungsvideo. Die entscheidende Frage für ihn sei, ob sich der Text nur einer Mode anhänge oder ob er tatsächlich schon eigenständig funktioniere.
Dazu merkte Wilke an, es handle sich um keine Mode, sondern um ein neues generationelles Selbstbewusstsein. Mara Delius sagte, sie halte den Text für „besonders“.
Philipp Tingler fand Gefallen an der Schilderung verschiedener Sinneseindrücke und Empfindungen, die der Leserschaft die Möglichkeit gebe, sich in die Geschichte zu involvieren – mehr dazu in Jurydiskussion Dana Vowinckel.
Timon Karl Kaleyta als Zweiter am Start
Nach Dana Vowinckel war ihr von Michael Wiederstein eingeladener Landsmann Timon Karl Kaleyta an der Reihe. Er präsentierte seinen Text „Mein Freund am See“ über Kapitalismus, Freundschaft und unterschwellige Gewalt – mehr dazu in TEXT Timon Karl Kaleyta (D).
Der Ich-Erzähler beschreibt darin seinen Freund Julian, dessen Familie nach der Enteignung in der DDR ein Landgut an einem See wieder bekommen hat und wo Julian in eine der vielen Wohneinheiten gezogen ist. Er kaufte ein Boot und restaurierte es selbst, die Freunde fahren auf den See hinaus. Der Erzähler sinniert, ob es möglich wäre, den Freund zu töten, in dem er ihn vom Schwimmen im See einfach nicht mehr an Bord ließe, wie in einem Film, den er gesehen hatte.
Erinnerungen an „Sendung mit der Maus“
Sowohl die Machart des Textes, als auch sein Inhalt führten in der Jury zu hitzigen Debatten. Kastberger sagte, er fühle sich erinnert an die Sendung mit der Maus. „Das ist Julian, Julian hat ein tolles Boot.“ Das sei ein perfekt geeignetes Stilmittel für so einen Text, es störe überhaupt nicht. „Wie sich die Bösartigkeit entwickelt gefällt mir wahnsinnig gut. Vom Inhalt her erinnert es mich etwas an den kleinen Gatsby mit der Sprache der Sendung mit der Maus.“
Insa Wilke sah darin etwas von Leander Steinkopf. Der Erzähler trete nicht aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit heraus. Der Autor habe es nicht nötig, seine Belesenheit auszustellen. Etwas lauere unter der Oberfläche wie bei Twin Peaks. Auch Artikel und Verben kommen einmal zu tragen, so Wilke.
Tingler sagte, der Text fülle schön 25 Minuten, er sei aber so flach wie der See, der im Text vorkomme. Die Perspektiven werden nicht durchgehalten – mehr dazu in Favoritin am dritten Tag.
Rückblick
Der erste Lesetag brachte keinen eindeutigen Favoriten, nur Necati Öziri darf sich gewisse Hoffnungen machen – mehr dazu in Erster Tag mit Lust an Diskussionen.
Auch am zweiten Tag setzte die Jury die Lust am Diskurs und am Schlagabtausch fort, der Ton wurde zwischendurch auch härter. Ganz einig war sich die Jury bei keinem der Texte, es gibt eher keinen eindeutigen Favoriten. Daher bleibt es spannend für den dritten Lesetag – mehr dazu in Kein klarer Favorit am zweiten Tag.