Öziri Necati
ORF
ORF
Kultur

45. TddL: Ein Hoffnungsträger zum Auftakt

Von großer Diskussionsfreude unter den Juroren geprägt ist am Mittwoch der erste Lesetag bei den 45. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt über die Bühne gegangen. Der Text des deutschen Autors Necati Öziri stach positiv hervor.

Nach der Mittagspause gab es einee filmische Würdigung der jüngst im Alter von 96 Jahren verstorbenen Friederike Mayröcker. Die Dichterin wurde am Donnerstag in Wien zu Grabe getragen. Aus diesem Anlass verlas Juror Klaus Kastberger ein Gedicht Mayröckers, bevor die Wienerin Magda Woitzuck als erste von insgesamt fünf heimischen Autoren des heurigen Bachmann-Preises an den Start ging.

Sie stellte ihren Text „Die andere Frau“ auf Einladung von Vea Kaiser vor – mehr dazu in TEXT Magda Woitzuck (A), der das Thema
Gewalt gegen Frauen behandelte. Die Jury zeigte sich im Anschluss äußerst streitlustig – mehr dazu in Jurydiskussion Magda Woitzuck.

Magda Woitzuck Lesung
ORF
Magda Woitzuck

Letzter Text sorgte für Verwirrung

Sprachlich und inhaltlich gänzlich anders präsentierte sich der Text „1709,54 Kilometer“ der 1991 geborenen Salzburgerin Katharina J. Ferner, der von Brigitte Schwens-Harrant eingeladen wurde – mehr dazu in TEXT Katharina J. Ferner (A).

Mara Delius bat ihre Jury-Kollegen um Erklärungshilfe. Mehrere Juroren zeigten sich ebenso ratlos. Sie lieferten sich einen wilden literaturtheoretischen Abtausch – mehr dazu in Jurydiskussion Katharina J. Ferner.

Katharina J Ferner
WDW-Film
Katharina J. Ferner

Lob und Kritik für „Ruth“

Als erste Autorin ging am Donnerstag auf Einladung von Michael Wiederstein hin die Schweizerin Julia Weber mit ihrer „Engelsgeschichte“ unter dem Titel „Ruth“ an den Start. Diese handelt von einer feengleichen jungen Frau, die Menschen anspricht – mehr dazu in TEXT Julia Weber (CH).

Christian Ankowitsch während des Portraits von Julia Weber
ORF/Johannes Puch
Moderator Christian Ankowitsch während der Einspielung des Video-Porträts von Julia Weber

Die Juroren, die offenbar froh waren, wieder von Angesicht zu Angesicht kritisieren zu können, debattierten darüber, ob es sich um einen zeitgemäßen oder „verstaubten“ – wie Philipp Tingler es nannte – Text, eine „Bekehrungs-“ (Brigitte Schwens-Harrant) oder Bekennungsgeschichte (Michael Wiederstein) handle.

Insa Wilke sagte zum Schluss der Diskussion, es handle sich um eine sehr souveräne und selbstbewusste Autorin und einen Text, der sehr wohl in die heutige Zeit passe, weil er mit Widersprüchen umgehe – mehr dazu in Jurydiskussion Julia Weber.

Klaus Kastberger und Mara Delius
ORF/Johannes Puch
Klaus Kastberger und Mara Delius

Heike Geißler sorgte für Debatten

Um 11.00 Uhr war die Deutsche Heike Geißler mit ihrem Text „Die Woche“ an der Reihe – mehr dazu in TEXT Heike Geißler (D). Insa Wilke brachte diesen mal eher chorischen, mal eher monologischen Text, in dem das Wir die Dominante und Konstante ist, nach Klagenfurt.

Mara Delius brauchte zwei Anläufe, um die unterschiedlichen Facetten des Textes interpretieren zu können. Philipp Tingler beurteilte einige Bilder im Text als sehr gut, kritisierte die Erzählstimme, und den Text insgesamt als „nicht sehr gelungen“.

Heike Geißler Lesung
ZDF
Heike Geißler

Michael Wiederstein fand den Text viel zu lange, auch wenn er dessen satirische Qualität würdigte. Auch Vea Kaiser war zwiegespalten: der Text habe zwar einiges Großartiges, er entlarve sich aber durch einige Sätze selbst.

Klaus Kastberger sagte, je öfter er den Text lese, desto besser gefalle er ihm. Er finde jene Stellen gut, wo der Text selbstreflexiv werde. Er ringe um eine Ausdrucksform, biete allerdings zu wenige Antworten – mehr dazu in Jurydiskussion Heike Geißler.

Juroren
ORF
Jury-Diskussion

Todkranker Sohn stellt sich den Vater vor

Öziri Necati war als Dritter an der Reihe. Der Autor und Theatermacher lebt in Berlin und wurde ebenfalls von Insa Wilke eingeladen. Er las seinen Text „Morgen wache ich auf und dann beginnt das Leben“ – mehr dazu in TEXT Necati Öziri (D).

Der Text, offenbar ein Abschiedsbrief aus der Intensivstation (vielleicht aber nur dessen Imagination), richtet sich an den Vater des an einem schweren Leberschaden leidenden Erzählers, an Murat, der nach einem langen Aufenthalt als politischer Gefangener in einem türkischen Gefängnis mit einer zweiten Frau ein zweites Leben begonnen und sich von seinem Sohn stark entfernt hat: „Ich möchte dir für immer die Möglichkeit nehmen, nicht zu wissen, wer ich war.“

„Irrsinnig begeistert“ zeigte sich Vea Kaiser von der Komplexität des Gefühlslebens, die im Text geschildert werde. „Eine verzweifelte Verfluchung“ nannte Michael Wiederstein dagegen den Text, der mit „perfekten Bildern“ arbeite: „Ich finde das toll.“ Nur im letzten Absatz (der enthüllt, dass der Abschiedsbrief eigentlich ein probeweises Sprechen vor dem Badezimmerspiegel ist) komme „der Erklärbär um die Ecke“. Klaus Kastberger fühlte sich an Kafkas „Brief an den Vater“ erinnert, der gut umgedreht werde. Philipp Tingler sah ein Missverhältnis zwischen einer großen Fülle von äußerer Handlung und geringer innerer Haltung. Ins gleiche Horn stieß Schwens-Harrant. Der Text zeige einen hohen Grad der Bewusstheit, lobte Wilke. Necati Öziri darf sich also als Erster leichte Hoffnungen machen.

Öziri Necati
ORF
Öziri Necati

Die weitere Lesereihenfolge

Am Freitag eröffnet der von Vea Kaiser eingeladene deutsche Autor Leander Steinkopf um 10.00 Uhr, gefolgt von der aus Moskau stammenden und seit den 1990ern in Deutschland lebenden Anna Prizkau um 11.00 Uhr, sowie der Kärntner Autorin und Fotografin Verena Gotthardt um 12.00 Uhr. Der Schweizer Autor Lukas Maisel, der sich derzeit als Stipendiat in Krems aufhält, startet um 13.30 Uhr in die Nachmittagssession, die um 14.30 Uhr der von Klaus Kastberger nominierte Steirer Fritz Krenn abschließt.

Am Samstag komplettieren schließlich die junge Berlinerin Dana Vowinckel (10.00 Uhr), der ebenfalls in Berlin lebende Deutsche Timon Karl Kaleyta (11.00 Uhr) und die in Teheran aufgewachsene und in Graz lebende Nava Ebrahimi (12.30 Uhr) das Feld der 14 Lesenden, das von der Musikwissenschafterin und Autorin Nadine Schneider aus Deutschland abgeschlossen wird. Sie wird ab 13.30 Uhr ihren Text präsentieren.

Alle Infos online zu finden

Wie gewohnt sind die Texte (ab der jeweils laufenden Lesung), Jurydiskussionen und die Rede der Literatur nachzulesen. Alle Videos laufen live auf 3sat, der Bachmannpreis-Homepage und der tvthek.ORF.at. Im Internet stehen die Videos auch on demand zur Verfügung. Fotos für Pressevertreter gibt es unter presse.ORF.at.

45. TddL: Ein Hoffnungsträger zum Auftakt

Von großer Diskussionsfreude unter den Juroren geprägt ist am Mittwoch der erste Lesetag bei den 45. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt über die Bühne gegangen. Der Text des deutschen Autors Necati Öziri stach positiv hervor.

Nachdem bei den Lesungen zum Bachmann-Preis im ORF-Theater heuer kein Publikum zugelassen ist, gibt es in Klagenfurt gleich zwei Möglichkeiten, den Wettbewerb live zu verfolgen. Neben dem schon traditionellen Public Viewing im Lendhafen kann das Geschehen auch im Gemeinderatssaal im Rathaus verfolgt werden – mehr dazu in Bachmann an der frischen Luft.

Preisverleihung am Sonntag

Am Sonntag werden von den sieben Juroren, unter denen die österreichische Schriftstellerin Vea Kaiser und die deutsche Literaturwissenschafterin Mara Delius neu sind, die Preise vergeben. Unter den fünf Männern und neun Frauen, unter denen neben dem Bachmann-Preis auch der Deutschlandfunk-Preis (12.500 Euro), der Kelag-Preis (10.000 Euro), der 3sat-Preis (7.500 Euro) sowie der BKS Bank-Publikumspreis (7.000 Euro plus Stadtschreiberstipendium) vergeben wird, befinden sich mit Nava Ebrahimi, Katharina Ferner, Fritz Krenn und Magda Woitzuck und Verena Gotthardt fünf Teilnehmer aus Österreich. Letztere stammt aus Kärnten. Sieben Autorinnen und Autoren kommen aus Deutschland, zwei aus der Schweiz. Im Vorjahr gewann Helga Schubert den Ingeborg-Bachmann-Preis.