Junge Menschen ziehen heutzutage durchschnittlich mit 25 Jahren zu Hause aus. Jugendliche in Fremdunterbringung sollen im besten Fall schon mit 18 Jahren selbstständig sein, obwohl gerade sie oft einen schwierigeren Start ins Leben haben. Mit 18 Jahren, dem gesetzlichen Betreuungsende, spätestens aber mit 21 Jahren „verschwinden“ die Betroffenen aus der Statistik.
Familien: Nicht immer mangelt es am Geld
Zur Villacher Notschlafstelle kommen Jugendliche mit verschiedensten Vorgeschichten, so Birgit Seymann von JUNO Villach: „Wir haben Jugendliche aus Familien gehabt, wo genug Geld da war. Aber wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, wenn es Unruhe und Konflikte im sozialen Umfeld gibt, ist die Schule hintangestellt.“

Ein JUNO-Klient ist Ricardo, er kämpft seit einem Kindheitstrauma mit kognitiven Problemen und wird von der Jugendnotschlafstelle bis heute betreut: „Es gibt Phasen, da merke ich mir gar nichts. Seitdem ich das damals erlebt habe, fühle ich mich eingeschränkt. Und das ist auch so.“
Experte: Bildungsbenachteiligung auch strukturell
Wissenschaftler Stephan Sting erforschte das Bildungsniveau Jugendlicher in Fremdunterbringung. Das Ergebnis lautet, „dass Careleaver bildungsmäßig klar benachteiligt sind. Sie sind dadurch benachteiligt, dass sie überwiegend niedrige Qualifikationen erwerben. Es wird im Kinder- und Jugendhilfesystem schon geschaut, dass sie Berufsabschlüsse machen – aber höhere Bildung wird im System weniger unterstützt.“

Diakonie sieht „Druck auf Institutionen“
Fremduntergebrachte Jugendliche machen also eher eine Lehre als die Matura. Laut Diakonie habe das auch strukturelle Ursachen. Matthias Liebenwein ist Fachbereichsleiter in der Diakonie: „Wir haben für unsere Jugendlichen und junge Erwachsenen – auch unsere Mitarbeiter verspüren das – einen großen Druck, darauf zu achten, dass die mit 18 spätestens 21 selbstständig leben können. Formalrechtlich ist es so, dass die Unterstützungsmöglichkeit durch die Kinder- und Jugendhilfe endet.“

Die Diakonie fordert hier mit anderen sozialen Institutionen eine Gesetzesänderung, damit die Jugendlichen bis 26 unterstützt werden können, so Liebenwein.
Keine Daten zu Bildungsniveau beim Land
Sozialreferentin Beate Prettner (SPÖ) sagte, man orientierte sich „an der Zahl 21“, Aber: „Natürlich lassen wir niemanden zurück, wenn es eine Perspektive gibt, wie wir noch weiter unterstützende Maßnahmen setzen können.“ Fakt ist aber auch, dass beim Land keine Daten darüber existieren, welches Bildungsniveau Careleaver am Ende erreichen – obwohl 74 Millionen Euro jährlich in die Kinder- und Jugendhilfe fließen.
Betreuungsende mit maximal 21 Jahren
Jedes Pflegekind mit einer abgeschlossenen Lehre, einer AHS oder BHS-Matura verfügt über eine „abgeschlossene Ausbildung“ und fällt damit automatisch aus der vollen Erziehung, bzw. dem Pflegeplatz hinaus.
Bildungsforscher Sting sieht darin einen „interessanten“ Sachverhalt: Denn obwohl man beim Land „viel Geld und viele Jahre“ in einen jungen Menschen investiere, interessiere es einen danach nicht mehr, was aus der- oder demjenigen geworden sei.
Seiner Studie zufolge schaffen es manche dann doch auf dem zweiten Bildungsweg bis zur Universität. Aber eben auf Umwegen und auf eigene Faust, manche mit Selbsterhalterstipendium. Ein harter Weg, der vielfach weiterhin ohne Unterstützung von Zuhause absolviert werden müsse.
Die Zahlen
Von den 1.073 Kindern in Fremdunterbringung sind 293 Pflegekinder, 222 davon noch schulpflichtig. 78 sind über 15 Jahre alt, 30 davon besuchen aktuell eine AHS oder BHS.
In Einrichtungen sind 780 Kinder untergebracht, davon sind 750 noch schulpflichtig. Bei dieser Gruppe sind 370 über 15 Jahre alt, 74 davon besuchen eine AHS oder BHS. 26 Prozent oder in absoluten Zahlen 118 Schul-Kinder haben einen sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF), zum Beispiel bei Lernschwächen.
Maximal 104 von 448 mit Maturaniveau
Daraus resultiert: In naher Zukunft werden maximal 104 von aktuell 448 nicht mehr schulpflichtigen Pflegekindern ihre Schulaausbildung auch mit einer Matura (AHS/BHS) beenden. Wie viele Pflegekinder dann auch ein Studium absolvieren ist unklar, denn es gibt ja keine Zahlen dazu.