Soziales

Wenn Alkohol das Leben bestimmt

Studien haben gezeigt, dass in der Pandemie die Alkoholsucht zugenommen hat. Doch wie ist es, wenn der Alltag von der Sucht bestimmt wird? Andrea Scheriau will sich nicht mehr verstecken und spricht über ihre Vergangenheit. Sie überwand die Sucht, zahlte aber einen hohen Preis.

Verdrängen, verstecken und verheimlichen das kommt für Scheriau nicht mehr in Frage. Geredet werde über sie ja trotzdem, sagte sie und überrascht mit Offenheit: „Mein Anliegen ist es, dass man das nicht im stillen Kämmerlein versteckt, sondern ganz offen und direkt anspricht und vor allem, dass man die Alkholerkrankung selbst erkennt. Es ist ein langer Weg. Ich werde mich nicht mehr verstecken und es schönreden.“ Gerade Alkoholiker haben wenig Mitgefühl zu erwarten. Trinken ist fast überall legitim, aber nur solange es niemandem zur Last fällt.

Kalter Entzug führte fast zur Katastrophe

Geschätzte 20 Jahre dauerte Scheriaus Alkoholmissbrauch, bis sie im letzten Jahr, nach dem Alkoholtod einer Freundin, versuchte, den Absprung zu schaffen. Sie machte Zuhause einen kalten Entzug, trank vier Wochen lang keinen Tropfen, bis Sprach- und Gangstörungen auftraten und sie plötzlich zusammenbrach: „Im Zuge der Abstinenz hat der Körper signalisiert, er braucht den Alkohol, er braucht das Gift. Die Zellen haben sich dann wie ein Schwamm angesaugt und auf manche Areale gedrückt wie Sprachzentrum, Gangzentrum. Ich hatte riesiges Glück, dass es nicht auf das Atemzentrum gedrückt hat, sonst wäre ich nicht mehr da.“

Fatalerweise führte ausgerechnet der Wunsch, mit dem Trinken aufzuhören, bei der Kärntnerin zu einer schweren neurologischen Erkrankung und einem Schlaganfall: „Myelinolyse und ein leichter Insult.“ Bei einer Myelinolyse kommt es zu einer Schädigung der Umhüllung von Nervenfasern besonders im Hirnstamm.

Gelähmt und ohne Sprache aufgewacht

Komplizierte Worte, die Scheriau heute wieder leicht über die Lippen kommen, sie arbeitete trotz Alkoholkrankheit fast 17 Jahre lang bei einem Hausarzt. Nach dem Zusammenbruch wachte sie halbseitig gelähmt und ohne Sprachvermögen auf. Dieser Zustand hielt wochenlang an, bis sie sich in der Gailtalklinik zurück ins Leben kämpfte.

Auf die Frage, warum sie glaubt, Alkoholikerin geworden zu sein, sagte sie: „Zuerst war es nicht Nein sagen können, Arbeit, Bauen, Umbauen, keine Erholungsphase. Das habe ich mit dem teuflischen Alkohol kompensiert, es war ein Gefühl der Entspannung und Gelassenheit, es geht schleichend.“

Alkohol kostete sie fast alles

Der Alkohol kostete Andrea Scheriau beinah alles – ihr Leben, ihre Arbeitsfähigkeit, ihre Familie. Aber nicht den Mut: „Ich bin jetzt 48 und habe die Hälfte mehr oder weniger dahinschleifen lasen. Ich möchte meine letzten – hoffentlich – Jahrzehnte genießen, und das nüchtern.“