Anna Baar Porträt
Johannes Puch
Johannes Puch
Kultur

„Nil“: Von Heimatsuche und Heimsuchung

„Nil“ ist der Titel des neuen Romans von Anna Baar. Schon allein der Titel erzählt eine Geschichte: Der afrikanische Fluss wird zum Sinnbild der Heimat, nicht nur für das im Zoo gequälte Krokodil, sondern auch für einen jungen Mann, der sich seiner Identität immer weniger sicher ist.

„Ich war es nicht“ – auch der erste Satz in diesem Roman ist nur vermeintlich einfach und eindeutig. Denn der, der hier spricht, vermutlich, glaubt, dass er festgehalten wird. Er soll der Verfasser von Fortsetzungsstorys für ein Frauenmagazin sein. Vermutlich und soll, in diesem Roman sind die sogenannte Wirklichkeit, aber auch die Träume vielfach gebrochen. Ein Text voll schwebender sprachlicher Schönheit und eine Herausforderung für die Leserinnen und Leser. Denn kaum glaubt man sicheren Boden unter den Füßen zu haben, ist er schon wieder weg.

„Es ist schon eine Geschichte davon, was einem passieren kann beim Schreiben einerseits, man könnte es so lesen. Es ist auf der anderen Seite natürlich eine Geschichte einer Heimsuchung im Sinne einer Heimatsuche, die in einem umfassenden Sinn passiert. Also nicht Heimat als Ort, sondern als Zustand einer totalen Ankunft, die uns auf Erden ja gar nicht gelingen kann“, so Baar.

Was ist Wirklichkeit, was ist Illusion

In „Nil“ geht es auch um einen Identitätsverlust. Der junge Mann, vielleicht ist er Schriftsteller, lebt immer noch bei seinen Eltern und hatte etwas mit dem Tod seines kleinen Bruders zu tun. Die Welt, die er sich in seinen Gedanken aufbaut, wird immer mehr zu einem Gegenentwurf zur Wirklichkeit. Das geht soweit, dass die beiden so sehr miteinander verschwimmen, dass sie kaum noch zu unterscheiden sind.

Er hat Angst, dass das, was er aufschreibt, Wirklichkeit werden könnte. Schreiben über das eigene Leben auf den Kopf gestellt, so Baar: „Ich habe mir eigentlich einen Spaß daraus gemacht, dass ich einfach in die Zukunft schaue. Also ist autobiografisches Schreiben nicht auch etwas, wo ich etwas hinschreibe, ohne dass ich es erlebt habe, aber das kommt dann in Zukunft. Ich schreibe mir sozusagen mein Leben herbei, nicht ich jetzt persönlich, aber diese Figur, das ist auch irgendwie autobiografisch, wenn man es so sieht“, so Baar.

Ernst oder Parodie?

Anna Baar schreibt Sätze, die im Gedächtnis bleiben. Sätze, die so einfach klingen und es gar nicht sind. Wie: „Wer weiß, wo die Wahrheit beginnt und wo sie zu Ende ist?“ Ein Ende des Romanes oder vielleicht auch nur der Fortsetzungsstorys könnte sein, dass ein Paar Hand in Hand vor dem Abgrund beim Steinbruch steht. Es versteht sich eigentlich von selbst, dass es dann wieder ganz anders kommt.

„Ich denke, man kann es sehr ernst lesen oder man kann es auch als reine Parodie lesen. Ich hab schon auch sehr viel Freude und Spaß gehabt beim Schreiben. Es hat mich richtig hin und her geschleudert, es war teilweise wirklich unheimlich und todernst. Auf der anderen Seite hab ich mir auch gedacht, es hat schon auch viel Kurioses, also wo ich selbst dann gelacht habe. Das passiert mir selten beim Schreiben, es hat mich schon auch sehr amüsiert“, so Baar. Eine Möglichkeit wäre die Parodie auf einen Arztroman, auf seinem Tisch liegt ein Buch mit dem Titel „Nil“. Ernst wird es allerdings dann wieder, wenn er eine Frau malt und sie zu glauben scheint, dass sie so vielleicht auch sein sollte, dass er sozusagen ihre Zukunft dargestellt hat.

Anna Baar Bachmannlesung 2015
ORF/Johannes Puch
Anna Baar nahm 2015 auch am Ingeborg-Bachmann-Preis teil

Geträumt oder wahr

Anna Baars neuer Roman erzählt sehr viele Geschichten, die geträumt oder wahr sein mögen. Immer wieder tauchen sehr berührende Erzählungen aus einer Kindheit auf. Die Besuche im Zoo, das traurige Krokodil, die lange Krankheit und der Bruder, der später dann nicht mehr da sein wird. Anna Baar ist eine Autorin, die nicht nur die Wirklichkeit, sondern auch sich selbst und das Schreiben immer wieder in Frage stellt und nicht als gegeben hinnimmt. „Nicht das Schreiben an sich, aber das Veröffentlichen schon immer auch als Anmaßung. Also es ist ja schon eine große Behauptung, etwas so in die Welt zu stellen und ich glaube, das tut uns ganz gut, dass auch immer wieder zu hinterfragen.“

Mit „Nil“ ist Baar ein Roman gelungen, der sich nicht nur im Kopf, sondern im ganzen Menschen festsetzt. Es ist gut so, dass er sich nicht in ein paar einfachen Sätzen nacherzählen lässt. Wenn man ganz genau hinschauen will, könnte man im Stadtrandwald das Kreuzbergl und im Zoo den Prechtl Zoo in Klagenfurt erkennen: "Na ja der Fluss ist ja sozusagen die Heimat dieses gequälten Krokodils und der Typ, der sich in Wahrheit ja gar nicht von der Stelle bewegt auf seiner Heimsuchung und „Heimnichtfindung", der sucht ja auch ein Zuhause. Der Nil ist sozusagen das Sinnbild für diese Heimat, wo sich dann alles bündelt. Es war eigentlich eine aufgelegte Geschichte, weil das ganze Schreiben mir vorgekommen ist wie ein wahnsinniger Fluss und das ist irgendwie alles zusammengeflossen und ins Strudeln gekommen, da habe ich mir gedacht, das ist Nil“, so Baar.

Weg aus den südlichen Gefilden

Mit ihren ersten beiden Romanen war Anna Baar bereits sehr erfolgreich. Zuletzt wurde sie mit dem Theodor-Körner-Preis und dem Humbert-Fink-Literaturpreis ausgezeichnet. „Mich wegzubewegen aus diesen südlichen Gefilden, man hat mich ja schon auch ein bisschen dort festgeschrieben gehabt. Also nach den ersten beiden Romanen war es schon so, dass man gesagt hat, naja sie spannt da den Süden auf und es geht da immer um archaische Landschaften. Vielleicht war das die einzige Absicht beim Schreiben dieses Buches, mich von dort auch wegzubewegen. Also ich glaube, dass ist nicht ganz falsch, da auch Klagenfurt zu sehen. Natürlich, wenn man es kennt, auch vielleicht den Bärenzoo und so weiter“, so Baar.

Baar: „Irgendwie ein Teil von mir“

Ein Roman wie „Nil“ ist in jeder Hinsicht so dicht und intensiv, dass er nicht nur die Lesenden fordert. Anna Baar ist ein sehr zurückhaltender Mensch, allerdings mit klaren Haltungen. Jetzt ist das Buch da, jetzt sind die anderen dran. Sie beansprucht keine Deutungshoheit darüber, worum es in diesem Buch geht. „Es wäre schön, wenn es Anklang findet, weil es ist ja doch irgendwie ein Teil von mir, den ich sehr liebe. Es ist auf jeden Fall das Liebkind unter meinen drei Romanen. Für mich ist es etwas ganz Liebes, Kleines, Schönes, Zerbrechliches, ein Monster, ein Ungetüm, wo ich auch lange überlegt habe, ob ich es rauslassen soll, ob ich die Käfigtüre öffnen soll. Ich habe es gemacht und es hat mich Überwindung gekostet und ich wünsche ihm natürlich das Beste. Ich für mich wünsche mir jetzt gar nichts mehr, ich lehne mich jetzt zurück und warte, was kommt und freue mich, wenn es freut.“