„Apocalypse now“ gehört zu den bekanntesten Antikriegsgfilmen überhaupt. Mitten im Vietnam-Krieg bricht eine Spezialeinheit auf, um den angeblich wahnsinnig gewordenen Colonel Walter Kurtz zu töten. Zwei Soldaten brechen auch in Wolfram Lotz Hörspiel „Die lächerliche Finsternis“ auf, um einen dritten zu töten. Das klagenfurter ensemble wird von Regisseur Josef Maria Krasanovsky nicht geschont, das Stück geht unter die Haut.
Brechen mit Konventionen
Ein weißer Mann spielt einen schwarzen Mann, der zum Piraten wird. Vom ersten Augenblick an bricht Josef Maria Krasanovsky mit jeder Konvention, wirft vermeintlich Bekanntes über den Haufen und konfrontiert das Publikum mit der Welt, in der wir leben. „Wir haben uns gedacht, ein Abend, der über Kolonialisierung damals und heute spricht – das war keine feine Angelegenheit. Wenn wir uns wirklich mit dem Thema auseinandersetzen, darf es keine halbe Geschichte sein. Das ist das Schöne an der Textvorlage, Lotz ist sehr ehrlich in der Auswahl der Themen. Er legt den Finger in jede Wunde der Gesellschaft.“
Überlebenskampf mündet in „Studium der Piraterie“
Eine dieser Wunden ist, dass der Mann, der vor Gericht steht, feststellen muss, dass die Gewässer in seiner Heimat Somalia leergefischt sind. Also absolviert er, typisch Lotz, ein „Diplomstudium der Piraterie“. Er versucht, dem Gericht seine fremde Welt verständlich zu machen. Ganz vertraut und doch völlig verrückt erscheint die Welt der anderen Personen in diesem Stück. Verrückt aber nicht im Sinne von wahnsinnig, sondern aus der normalen Realität verschoben. Menschen, die wie Bojan versuchen, in einer dunklen Welt zu überleben. Auf ihn treffen die beiden Soldaten bei ihrer Mordmission in Afghanistan.
Vorstellungen
22., 23., 24., 28., 29., 30. und 31. Oktober sowie 3. und 4. November 2020, jeweils um 20.00 Uhr. Messehalle 11, Klagenfurt. Empfohlen ab 14 Jahren.
Bojan – eine Paraderolle für Gernot Piff mit 70er Jahre Schnurrbart, Ledermantel und schwer bewaffnet – wohnt in seinem Kanu. Er erzählt den Soldaten von seinem Leben, sagt, er hatte einmal ein Haus und eine Familie. Das Haus wurde bei einem Brand zerstört, Frau und Sohn kamen dabei um. Er selbst gibt sich die Schuld daran.
Die lächerliche Finsternis macht Spaß
Die Reise der beiden von Frauen gespielten Soldaten führt sie immer weiter in die Finsternis, in eine Dunkelheit, die voller Schrecken ist. Krasanovskys Inszenierung ist eine Konfrontation mit dem Fremden und damit, wie wenig wir es verstehen: „Es ist nicht so, dass man dem Zuschauer ungut kommen will, sondern es geht den Darstellern um gute Darstellung. Trotzdem finde ich auch, dass bei Lotz ganz wichtig ist, dass der Abend momentweise auch lustig ist.“
Frauen die Männer spielen deren Rollen sich „auflösen“
Aline-Sarah Kunisch spielt einen der beiden Soldaten, die den durchgedrehten Oberleutnant in den Regenwäldern von Afghanistan liquidieren sollen: „Es ist eine Beschäftigung mit dem Fremden, mit dem, was wir nicht verstehen.“ Als Frau einen Mann zu spielen war nicht schwierig. Etwas anders aber schon, so Kunisch: „Einmal, diese Figur zu finden, diese klar strukturierte, diesen Bundeswehrsoldaten, der seinen Auftrag erfüllen will, sich auf diese Reise macht und überrascht wird von dem Fremden. Diese Verwunderung, die seine Struktur sich auflösen lässt.“
Gewissheiten werden immer brüchiger
In der Begegnung der beiden Soldaten erweisen sich langsam aber sicher alle Gewissheiten darüber, wie das Leben und die Welt zu sein hat, als brüchig. Vor Beginn der völligen Wildnis erreichen sie die letzte richtige Station. Geführt wird sie von italienischen Blauhelmsoldaten. Der Umgang mit den Eingeborenen spottet jeder Beschreibung, nichts hat sich seit den frühen Zeiten des Kolonialismus geändert. Sie bauen in den Wäldern unter Tage Coltan ab, das für die Herstellung von Handys gebraucht wird.
Mit jeder neuen Begegnung werden Finsternis und Chaos größer, bis hin zu Reverend Lyle Carter, der für die Eingeborenen da sein und ihnen seinen Glauben bringen will, so Krasanovsky: „Jeder hat seine eigene Kolonie mit sich. Es geht in dem Stück auch um das innere Fremdsein.“
Theater soll Wellen schlagen – egal in welche Richtung
Aline-Sarah Kunisch bringt auf den Punkt, worum es wohl allen geht, die bei dieser Produktion mitmachen: „Ich finde nicht, dass Theater dazu da ist, zu moralisieren. Es ist eine Kunstform, die Wellen schlägt. Ich wünsche mir, dass diese Vorstellung beim Publikum Wellen schlagen wird, in welche Richtung auch immer.“
Trash, Poesie und Trauer über das Menschsein
Wolfram Lotz liefert einen eindringlichen Text voller Trash, Poesie und Traurigkeit über die Unfähigkeit, das Fremde wirklich verstehen zu können: Das Grauen eines weit entfernten Krieges, eine andere Kultur, einen anderen Menschen und zuletzt auch sich selbst. 2015 wurde „Die lächerliche Finsternis“ in der Kritikerumfrage von „Theater heute“ zum Stück des Jahres gewählt.