Stadtschreiberin  Ronya Othmann
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Kultur

Ronya Othmanns ungesehene Realität

Ronya Othmann ist die neue Klagenfurter Stadtschreiberin. Bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur wurde sie 2019 mit dem BKS-Bank-Publikumspreis ausgezeichnet. Im Theatercafe schreibt sie über Fiktives, Reales und Bedrohungen, die nur wenige Menschen wahrnehmen.

Im Theatercafe in Klagenfurt fühlt sich die 27-Jährige wohl. Gefühlt hat es für sie immer offen und bietet ihr die Gelegenheit, Menschen zu treffen oder ganz einfach in Ruhe zu arbeiten und das findet sie „cool“: „Man fühlt sich hier nicht so, als ob man stören würde, wenn man arbeiten würde. Es gibt ja Cafes wo man sich so fühlt, als wäre es merkwürdig, zu arbeiten“, so die Schriftstellerin.

Stadtschreiberin  Ronya Othmann beim Arbeiten im Theatercafe
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Bei der Arbeit im Theatercafe

Gedichte, Prosa und viel lesen

Besonders gut gefällt ihr auch die Atmosphäre des Theatercafes. Ein bisschen scheint hier die Zeit stehengeblieben zu sein und das ist gut so. Insgesamt ein halbes Jahr wird Othmann in Klagenfurt leben und arbeiten. „Ja, ich wurde auch schon gefragt, ob ich eine Bewertung über die Stadt schreibe. Aber man hat ein Stipendium, wo man eine Wohnung hat und Zeit und man kriegt etwas Geld und in der Zeit kann man halt schreiben und dann ist man in einer Stadt, aber im Prinzip schreibt man nicht über die Stadt“, sagte die 27-Jährige.

Othmann ist gerne im Freien und läuft, wie sie sagt, „viel rum“ und lernt so die Stadt kennen. Ein Stadtschreiberstipendium bedeutet vor allem aber auch eines, ungestört und ohne Ablenkungen arbeiten zu können. „Ich arbeite gerade an Gedichten weiter, aber ich habe auch noch einen Prosatext, mehrere kleine Sachen, ich wechsle die ganze Zeit und ich wollte viel lesen und das mache ich auch“.

Theatercafe in Klagenfurt
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Das Theatercafe

Fiktive Personen und Orte in Wirklichkeit holen

Den BKS-Bank Publikumspreis bekam Othmann für einen Text, der unter die Haut geht. Sie schrieb über den Völkermord des Islamischen Staats an den Jesiden in der irakischen Stadt Shingal. „Die Sommer“ heißt ihr Romandebut, das Mitte August im Hanser Verlag erscheinen wird. Erzählt wird die Geschichte eines jesidischen Kurden und seine Flucht aus Syrien. Erzählt von Leyla, die wie Ronya Othmann einen jesidischen Vater und eine deutsche Mutter hat.

„Es handelt sich nicht unbedingt um meinen Vater, aber um jemanden der so eine ähnliche Geschichte hat. Also es ist schon fiktiv, aber eigentlich hätte das Meiste darin so passieren können. Die Orte gibt es wirklich, die Sachen, die politischen Dinge, die passiert sind, spielen eine Rolle, aber es ist ein fiktiver Roman“, so die Schriftstellerin.

Stadtschreiberin  Ronya Othmann
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Die Jesiden überliefern viel nur mündlich, weil sie immer wieder auf der Flucht waren. Da bleibe nicht viel, so Othmann.

Erzählen ist oft das Einzige, das man tun kann

Othmanns Literatur ist auch ein Anschreiben gegen das Vergessen. Viele Jesiden haben auf ihrer Flucht nicht mehr als ein paar Koffer mitgenommen. Eine junge Schriftstellerin will mit ihren Texten an eine Welt erinnern, die es so heute gar nicht mehr gibt, „weil jesidische Kultur auch mündlich überliefert wurde, weil Jesiden oft von Verfolgung betroffen waren und fliehen mussten und dann ist das Erzählen halt das Einzige was man machen kann, weil ja nicht viel von dieser Welt übrig ist“.

Neue Stadtschreiberin von Klagenfurt

Ronya Othmann ist die neue Stadtschreiberin von Klagenfurt. 2019 wurde sie bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur mit dem BKS-Bank-Publikumspreis ausgezeichnet. Ihr Text über die Verfolgung der Jesiden im Irak überzeugte die Zuhörer.

Sie schreibt aber nicht nur Romane und Gedichte. Sie hat auch bei der deutschen Zeitung taz eine eigene Kolumne. Im „Orientexpress“ geht es um die Themen, die ihr wichtig sind.

Kritische Kolumne in der taz

„Das ist ja im Roman auch so ein bisschen das Thema, dass wir so die Jesiden oder die jesidische Kultur ausgelöscht wird oder auch an anderen Orten in der Türkei schon größtenteils ausgelöscht wurden. Also es gab viele, viele Jesiden in den kurdischen Siedlungsgebieten und die gibt es jetzt nicht mehr, weil sie vertrieben wurden oder zwangskonvertiert und dann wird ihre Geschichte dort nicht mehr erzählt. Also ich war viel an diesen Orten und das ist dasselbe mit den Armeniern, dass man so tut als wären die nie dagewesen und in der Kolumne geht es ja um ähnliche Dinge“, so Othmann.

Vater unterstützt bei Leben, das er nicht haben durfte

Ihre Kolumne ist kritisch und bezieht auch politisch eindeutig Stellung. Dass sie dafür auch kritisiert wird, findet sie normal. Der Kochbuchautor und rechtsradikale Aktivist Attila Hildmann ging für die 27-jährige allerdings noch einen Schritt weiter.

„Attila Hildmann dieser Koch, der ist ja so ein Veganerkoch, der jetzt so Verschwörungstheorien und Mythen verbreitet. In seiner Jugend hatte er ja Verbindung zu grauen Wölfen und sich auf Fotos gezeigt, die den Wolfsgruß machen der ja zum Beispiel in Wien verboten ist, aber in Deutschland nicht. Also dann habe ich über den Geschrieben, dann wurde ich von dem online angegriffen und der hat ja 66.000 Follower und das ist irgendwie beängstigend“, so die Schriftstellerin.

„Türkische Nazis“

Die Grauen Wölfe bezeichnete Ronya Othmann in einem Artikel als türkische Nazis. Die Schriftstellerin wuchs in München auf. Ihr kurdisch jesidischer Vater nahm sie aber immer wieder nach Syrien mit. „Also mein Vater unterstützt mich voll und es ist ja so, dass ich die Möglichkeiten habe, die er nie hatte. Also er hat auch auf kurdisch Gedichte geschrieben, als er jünger war, aber in Syrien war es natürlich schwierig. Er durfte nicht studieren“.

Unerkannte Realität in Schule oder Uni

Die 27-Jährige beschreibt ihr Leben als ein Pendeln zwischen verschiedenen Zusammenhängen, zwischen der jesidischen Welt ihres Vaters und ihrem Leben in Deutschland: „Manchmal habe ich mich fremd gefühlt, wenn man mit diesen Realitäten zu tun hat, also Familienmitgliedern, die vor einem Genozid fliehen, die nach Deutschland fliehen, die über das Mittelmeer kommen, in Deutschland zum Beispiel auch Bedrohung von türkischen Rechten, also wie zum Beispiel graue Wölfe, dass man halt so in diesen ganzen Realitäten lebt, wo halt manchmal Leute, mit denen man täglich zu tun hat in den selben Seminaren sitzen, in der Schule oder in der Uni und diese Realitäten gar nicht sehen oder wahrnehmen, weil sie für sie keine Rolle spielen“, erzählte die 27-jährige.

Wie schreibt man Geschichte, wer schreibt sie und wie? Das sind Fragen, mit denen sich Ronya Othmann immer und immer wieder beschäftigt.