Ambulanzräumlichkeit im Spittaler Krankenhaus
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Gesundheit

Fehleinschätzungen bei Akutpatienten

Erfahrungen der Kärntner Patientenanwaltschaft zeigen, dass es während der Coronavirus-Krise Fehleinschätzungen gegeben habe, was ein Akutfall ist. So seien Patienten zu Schaden gekommen. Die Spitäler und Ärztekammer zeigen sich verwundert und suchen nach den genannten Fällen.

In manchen Fällen konnten hartnäckige Patienten und die Patientenanwaltschaft gerade noch schwere Gesundheitsschäden verhindern, in anderen seien Schäden eingetreten, sagte die Kärntner Patientenanwältin Angelika Schiwek. Beispielsweise hätten Internisten zwei Patienten mit Herzinfarktsymptomen und auffälligen Blutwerten ins Spital eingewiesen, aber „im Krankenhaus wurden sie nicht als akut eingestuft und wieder nach Hause geschickt. Die Internisten haben dann aber nachgehakt, und dann sind sie aufgenommen und erfolgreich behandelt worden“, so Schiwek im Ö1-Morgenournal.

Fehleinschätzungen bei Akutpatienten

Erfahrungen der Kärntner Patientenanwaltschaft zeigen, dass es während der Coronavirus-Krise Fehleinschätzungen gegeben habe, was ein Akutfall ist. So seien Patienten zu Schaden gekommen. Die Spitäler und Ärztekammer zeigen sich verwundert und suchen nach den genannten Fällen.

70-prozentiger Krebsverdacht

Ein weiteres Beispiel: Bei einem Patienten bestand ein 70-prozentiger Prostatakrebsverdacht nach einem PSA-Test und anderen Untersuchungen. „Der Patient hat eine Biopsie zur Verifizierung gebraucht im Krankenhaus. Aber er wurde nach Hause geschickt, weil ihm gesagt wurde, es können nur Patienten mit akutem Krebs behandelt werden.“ Erst als die Patientenanwaltschaft argumentierte, ein 70-prozentiger Krebsverdacht müsse wohl reichen, wurde die Biopsie doch durchgeführt.

Auch ein Patient mit auffälligen Thromboseblutwerten, der vom Hausarzt zugewiesen wurde, wurde vom Krankenhaus nicht aufgenommen. „Er hat sich aber auch nicht mehr an den Hausarzt gewandt. Und es ist noch nicht vom Tisch, dass das Bein amputiert werden muss“, so Schiwek.

Aufnahmesystem zurückgefahren

Das gute Aufnahmesystem der Spitäler wurde zum Schutz vor dem Coronavirus zurückgefahren und auf Akutfälle beschränkt, sagt die Patientenanwältin. „Und da hat es meines Erachtens eben Fehleinschätzungen gegeben“, so Schiwek. Der Begriff Kollateralschäden komme ihr in den Sinn.

Auch im niedergelassenen Bereich gab es einen schwerwiegenden Fall. Ein Hausarzt habe bei einer Patientin einen auffälligen Nierenblutwert festgestellt, aber „als sie beim Internisten eingetroffen ist, hat die Ordinationsassistentin sofort gesagt: ‚Es ist Coronavirus-Zeit, und es werden nur akute Patienten drangenommen, Sie fallen nicht darunter.‘ Die Patientin ist nach Hause gegangen, hat aber drei Wochen später ein akutes Nierenversagen entwickelt.“

Nur „Spitze des Eisbergs“

Schiwek berichtete sogar von einem Todesfall, der indirekt wohl mit der Coronavirus-Situation zu tun habe. Ein Herzinfarktpatient wurde nach einer Stent-Operation entlassen – ohne das sonst übliche Gespräch mit Patient und Angehörigen: „Dann ist es nicht verwunderlich, dass man – wie man bei der Apotheke die Medikamente geholt hat – eines irrtümlich nicht mitgenommen hat, und zwar eines der wichtigsten, das blutverdünnende Medikament. Der Patient hat dann zu Hause wieder einen Herzinfarkt erlitten, an dem er leider verstorben ist.“

Die Patientenanwältin vermutet, dass es zahlreiche ähnliche Fälle von Erkrankungen und Todesfällen gab. Durch Meldungen an die Patientenanwaltschaft werde immer nur die Spitze des Eisbergs sichtbar.

Krankenhäuser suchen Fälle

Bei den Landesspitälern zeigt man sich ob der Vorwürfe verwundert, Beschwerden seien bis dato nicht an sie herangetragen worden. Jörg Weber, der Leiter des Coronavirus-Krisenstabes in den Landesspitälern, sagte, man habe nach den angegebenen Fällen gesucht, sei aber nicht fündig geworden. „Natürlich, wenn mehr auf dem Tisch liegen sollte, muss man sich das im Detail anschauen. Aber es ist völlig klar, dass jeder von uns einen gewissen Beitrag leisten musste. Und wenn ein Krankenhaussystem 900 Betten vorhalten muss, ist eine volle Leistung nicht zu erbringen. Damit ist eine Patientenpriorisierung notwendig, die nach fachlichen Kriterien erfolgt.“ Sie verlange auch eine gewisse Kooperationsbereitschaft von den Patienten, vor allem, wenn es um Termine gehe, so Weber.

Das bedeute aber nicht, dass die Dringlichkeitseinschätzung mit der tatsächlichen Einschätzung des Patienten korreliere, so Weber: „Für jeden ist Medizin immer etwas Dringliches, dafür haben wir auch Verständnis, im Rahmen der Möglichkeiten und nach bestem Wissen und Gewissen haben wir das schnellstmöglich abgearbeitet.“

Auch bei der Ärztekammer zeigt man sich ob der Kritik, die auch den niedergelassenen Bereich betrifft, überrascht. Die Fälle seien nicht bekannt, müssten aber einzeln geprüft und aufgearbeitet werden, wie so vieles nach der Coronavirus-Krise, heißt es von Ärztekammerpräsidentin Petra Preiss.

Team Kärnten fordert lückenlose Aufarbeitung

Gerhard Köfer vom Team Kärnten verlangte in einer Aussendung als Reaktion auf den ORF-Bericht von der zuständigen Gesundheitsreferentin Beate Prettner (SPÖ), dass eine Untersuchungskommission eingesetzt werde, die „einen vollständigen, transparenten Bericht vorlegt, der alle Folgewirkungen und Auswirkungen der Corona-Krise beleuchtet“.

„Betroffene Patienten, die ebenfalls unter der Corona-Krise zu leiden hatten und nicht ausreichend behandelt wurden, sollen sich unbedingt bei den entsprechenden Stellen melden“, sagte Köfer. Der Team-Kärnten-Chef verlangte, die Anzahl an Intensivbetten in Kärnten zu erhöhen. „Es gilt aus der Corona-Situation zu lernen und daraus die richtigen Lehren zu ziehen.“

FPÖ: Entschädigung für Betroffene

Für FPÖ-Obmann Gernot Darmann sind die geschilderten Fälle nur die Spitze des Eisberges. Es seien mehrere tausend Patienten in Kärnten betroffen. Die Landesspitäler rechnen selbst mit 90.000 Belagstagen weniger als 2019, so Darmann. Bei einer durchschnittlichen Belagsdauer von sechs Tagen bedeutet dies: 15.000 Kärntner, die im Normalfall in einem Krankenhaus betreut werden sollten, kommen heuer wegen Corona nicht dran. Hier liege ein schweres Versagen der Gesundheitspolitik vor, die wegen Corona alles andere aus den Augen verloren habe.

Er fordert Gesundheitsreferentin Prettner auf, endlich ein Konzept vorzulegen, wie diese Missstände auch unter Einbeziehung von Privatkliniken beseitigt werden können. Diese könnten helfen, die vielen wartenden Patienten zu versorgen. Überdies müsse ein Fonds geschaffen werden, der schwerbetroffene Nicht Corona-Patienten entschädige, sagte Darmann.