Wanderer nähern sich einer Kuh
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Chronik

Kuhattacke: Unsicherheit nach OGH-Urteil

In wenigen Wochen treiben die Bauern ihr Vieh wieder auf die Almen. Unsicherheit herrscht aber nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofes (OGH), wonach ein Tiroler Bauer Schadenersatz für die tödlichen Folgen einer Kuhattacke leisten muss. Allerdings soll ein neues Gesetz aus dem Vorjahr die Bauern besser vor solchen Urteilen schützen.

Am 28. Juli 2014 wurde in Tirol eine 45 Jahre alte Deutsche, die mit ihrem Hund unterwegs war, auf einer Alm von Kühen plötzlich attackiert und zu Tode getrampelt. Nach einem jahrelangen Rechtsstreit zwischen den Hinterbliebenen und dem Landwirt erging im Februar 2019 das erstinstanzliche Urteil im Zivilprozess. Demnach musste der Bauer dem Witwer und dem Sohn rund 180.000 Euro sowie eine monatliche Rente an die beiden in der Höhe von insgesamt rund 1.500 Euro zahlen – mehr dazu in Urteil nach tödlicher Kuhattacke. Das Höchstgericht minderte den Betrag zwar, bestätigte aber eine Teilschuld beim Bauern und bei der Wanderin. Der Bauer soll nun knapp 80.000 Euro und eine monatliche Rente von 780 Euro zahlen – mehr dazu in OGH bestätigt Urteil nach Kuhattacke (tirol.ORF.at; 12.5.2020).

Alm mit Kühen
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Bauern fürchten Schadenersatzforderungen

Die Aufregung unter den Almbauern wegen der Schadenersatzforderungen war riesengroß. Viele fürchten, selbst für mögliche Unfälle zur Verantwortung gezogen zu werden. In der Steiermark sperrte nun ein Bauer nach dem Urteil des OGH eine Alm – mehr dazu in Urteil nach Kuhattacke: Bauer sperrt Alm (steiermark.ORF.at; 16.5.2020).

In Kärnten ist ein Fünftel der Landesfläche Almgebiet. Die meisten Almen dienen als Weideflächen für Rinder und Pferde. Das Vieh befindet sich je nach Höhenlage von Juni bis September auf den Almen. Fast alle Almen sind über Fahrwege oder Seilbahnen erschlossen, was den Wandertourismus, aber auch Begegnungen zwischen Mensch und Tier, fördert.

Kühe beim Almauftrieb
Hans Braxmeier / Pixabay
Bauern müssen vor Gefahren warnen, Besucher müssen Regeln einhalten

Vorfall war „besonderer Einzelfall“

Es bestehe Unsicherheit bei den Almbauern, sagte der Obmann des Kärntner Almwirtschaftsvereins, Josef Obweger. „Es wird zwar immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Vorfall in Tirol um einen besonderen Einzelfall gehandelt hat, der mit der Situation auf den meisten Almen nicht vergleichbar ist. Dennoch fördert so ein Urteil nicht das Vertrauen in ein Miteinander von Tourismus und Almbewirtschaftung.“

Nach der Aufregung unter den Almbauern reagierte die Politik und beschloss im Vorjahr ein neues Gesetz. An diesem Gesetz wirkte auch Obweger, als Vertreter des Almwirtschaftsvereins, mit. „Der wesentlichste Punkt ist wohl die Ergänzung des Tierhalterparagrafen im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) und dabei vor allem der Hinweis auf die Eigenverantwortung der Almbesucher. Es gibt ja nun auch die zehn Verhaltensregeln, die verpflichtend einzuhalten sind. Das ändert meiner Meinung nach die Ausgangslage für die Tierhalter doch wesentlich.“

Zwei Wanderer gehen an liegenden Kühen vorbei
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Wanderer haben nun Eigenverantwortung und dürfen nicht wahllos über Almen und Hochweiden marschieren

Kritik des OGH an „erwartbarer Eigenverantwortung“

Im ABGB heißt es nun im Paragraf 1320, der Tierhalter habe Maßnahmen zur Vermeidung von Gefahren zu ergreifen, er spricht aber auch von einer „erwartbaren Eigenverantwortung“ der Almbesucher. Der Oberste Gerichtshof kritisierte die neue Regelung.

Die Bestimmung könnte dahin gehend ausgelegt werden, dass eine sonst bestehende Haftung des Tierhalters entfällt, wenn der Geschädigte die „erwartbare Eigenverantwortung“ nicht wahrnimmt, hieß es vom OGH – mehr dazu in ORF.at (3.5.2019).

Verpflichtung für Bauern: Hinweistafeln aufstellen

Das neue Gesetz schreibt nun Rechte und Pflichten für Almbauern und für Wanderer vor. Wichtigster Punkt für den Bauern sei wohl die Verpflichtung, Hinweistafeln an den Ausgangspunkten von Wanderwegen aufzustellen, sagte Obweger. „Wanderer wiederum müssen sich bewusst sein, dass Almvieh manchmal schwer berechenbar ist. Man weiß ja nie, ob die Tiere nicht schon vorher durch irgendeinen Vorfall gereizt worden sind.“ Almbauern können die Hinweistafeln über den Almwirtschaftsverein erhalten. Das Land bietet einen Versicherungsschutz gegenüber Wanderern und Mountainbikern.

Wanderer sollten Hunde generell nicht mit auf die Alm nehmen, weil Rinder darin einen Feind für ihre Kälber sehen können. Sollte es dennoch zu einem Angriff kommen, dann sei der Hund unverzüglich abzuleinen, sagte Obweger. „Ich kann nur noch einmal dringend davon abraten, die Tiere zu streicheln oder zu füttern. Ein Respekt sollte immer vorhanden sein.“

Mann mit Hund inmitten einer Kuhherde
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Hunde auf Almen sind prinzipiell an die Leine zu nehmen

Bauern: Besucher wissen wenig über richtiges Verhalten

„Wir merken stark, dass sehr viel Unwissenheit da ist, wie man sich richtig verhält“, sagte Karin Schabus, die Obfrau des Vereins Urlaub am Bauernhof. „Viele sind sehr, sehr dankbar für Aufklärung, und da hoffen wir auf die Zusammenarbeit mit den Tourismusverbänden und den Beherbergungsbetrieben. Wir als Bauern können diese Klientel ja nicht erreichen.“

Broschüre mit Verhaltensregeln auf Almen
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Die zehn Verhaltensregeln für das Wandern auf der Alm:

  1. Kontakt zum Weidevieh vermeiden, Tiere nicht füttern, sicheren Abstand halten.
  2. Ruhig verhalten, Weidevieh nicht erschrecken.
  3. Mutterkühe beschützen ihre Kälber, Begegnung von Mutterkühen und Hunden vermeiden.
  4. Hunde immer unter Kontrolle halten und an der kurzen Leine führen. Ist ein Angriff durch ein Weidetier abzusehen: Sofort ableinen.
  5. Wanderwege auf Almen und Weiden nicht verlassen.
  6. Wenn Weidevieh den Weg versperrt, mit möglichst großem Abstand umgehen.
  7. Bei Herannahen von Weidevieh: Ruhig bleiben, nicht den Rücken zukehren, den Tieren ausweichen.
  8. Schon bei ersten Anzeichen von Unruhe der Tiere Weidefläche zügig verlassen.
  9. Zäune sind zu beachten. Falls es ein Tor gibt, dieses nutzen, danach wieder gut schließen und Weide zügig queren.
  10. Begegnen Sie den hier arbeitenden Menschen, der Natur und den Tieren mit Respekt.