Ernst Sandriesser
APA/GERD EGGENBERGER
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Soziales

Caritas in Zeiten der Coronaviruskrise

Ernst Sandriesser ist seit Anfang Februar neuer Direktor der Caritas in Kärnten. Zeit zum Einarbeiten blieb ihm nur wenig. Angesichts der Coronakrise sieht sich der neue Leiter mit einer völlig veränderten Situation konfrontiert.

Es sind Tage, Wochen und wohl auch noch Monate der Herausforderung. Auch in der an sich krisenfesten Caritas gab es angesichts der ausgebrochenen Coronaviruskrise eine „Schrecksekunde“. Ernst Sandriesser hat die Leitung der großen Hilfsorganisation erst kürzlich von Josef Marketz – der ja zum neuen Bischof geweiht wurde – übernommen und muss den Betrieb unter völlig neuen Vorzeichen weiterführen: „Die Caritas Kärnten ist krisenfest, wir wissen wie wir mit Katastrophen umzugehen haben. Was neu ist, dass wir mit dem Virus eine Krise haben, die wir weder riechen noch schmecken, sehen oder hören können. Das erzeugt natürlich in der gesamte Bevölkerung Ohnmachtsgefühle. Wir lernen erst jetzt damit umzugehen.“

Ernst Sandriesser und Bischof Marketz bei Schlüsselübergabe
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Schlüsselübergabe zwischen Sandriesser und Marketz

Nach „Schrecksekunde“ wieder gut aufgestellt

Auch in den Einrichtungen der Caritas habe die aktuelle Coronavirus-Situation eine „Schrecksekunde“ erzeugt. „Jetzt sind wir wieder gut aufgestellt. Wir haben ja sehr viele systemerhaltende Funktionen in der Gesellschaft. Ich erinnere nur an unsere Kindergärten, Pflege-, Behindertenheime die in voller Funktion sind und gleichzeitig ebenfalls unter den derzeitigen Auflagen stehen.“

Die mehr als 80 Kindergärten der Caritas sind – bis auf jenen in Heiligenblut – weiterhin geöffnet. „Es ist mir auch ganz wichtig, dass die Menschen wissen, dass die Kindergärten offen sind. Wenn jemand berufstätig ist, kann er wie immer die Kinder bei uns abgeben, sie sind auch gut versorgt. Wir merken natürlich, dass momentan viel weniger Kinder in die Kindergärten kommen.“

Die personelle Situation in den Alten- und Pflegeheimen sei momentan besonders schwierig aber der Betrieb funktioniere. „Natürlich können Angehörige die Heime nicht besuchen, die allermeisten verstehen das auch. Der Kontakt mit den Angehörigen wird verstärkt über Telefon geführt oder man steht am Fenster und winkt sich zu".

Behindertenheime als besondere Herausforderung

Eine große Herausforderung seien die Heime für Menschen mit Behinderung, so Sandriesser: „Wir mussten alle Werkstätten schließen, was bedeutet, dass diese Menschen tagsüber kaum eine Beschäftigung haben. Hier müssen wir alle unsere Kräfte bündeln, damit auch diese Menschen gut versorgt sind.“

Die Caritas bekommt derzeit sehr viele Hilfsangebote von außen, muss sie aber aufgrund der Hygienevorschriften dankend ablehnen. Die Mitarbeiter haben großes Verständnis für diese Situation, sind auch gut vorbereitet. Wir sind auch gut darauf vorbereitet, falls ein Heim unter Quarantäne gestellt werden müsste."

Der Wirtschaftsbetrieb Caritas ist auf Spenden angewiesen. „Es ist keine leichte Aufgabe, wir sind gefordert für Menschen, die sowieso in Not geraten sind, besonders da zu sein. Wir werden künftig viele Lebensmittelspenden brauchen und haben aus diesem Grund auch den Corona-Hilfsfonds der Caritas ins Leben gerufen, weil die üblichen Sammlungen ja nicht möglich sind.“

Spenden für „Corona-Hilfsfonds“

Alle Kärntner seien aufgerufen, sich für Spenden an den Corona-Hilfsfonds zu wenden. Auch ein „Team Nächstenliebe“ wurde geschaffen. „Wer jung ist und sich gut selbst organisieren kann, kommt mit der Situation noch relativ gut zurecht. Es gibt aber viele Menschen, vor allem ältere, die nicht so mobil sind, die Vorerkrankungen haben und sich schon einigermaßen schwer tun, ihren Alltag zu organisieren.“

Das fange beim Einkaufen und den alltäglichen Besorgungen an und gehe hin bis zum Kontakt, der nun komplett ausfalle. „Viele sind völlig isoliert. Die erste Woche geht vielleicht noch, aber dann wird es schon schwierig. Ich vergleiche das Prinzip gern mit dem barmherzigen Samariter: Wenn ich sehe dass jemand Hilfe braucht, frage ich: Was brauchst du, wie geht es dir, wie kann ich dir helfen?“.

Es wurde eigens eine kleine Karte für das Team Nächstenliebe entworfen – diese lasse sich gut in einen Postkasten werfen, man könne seinen Namen und seine Telefonnummer darauf hinterlassen. Aber auch die Caritas brauche Hilfe – einerseits im Bereich der Spenden, „das ist jetzt ganz wichtig. Ich denke aber auch, dass wir in den nächsten Wochen im Bereich der Onlineberatung viel Unterstützung werden anbieten müssen.“

Telefonseelsorge, Chat und Kleiderspenden

Es gelte auch die Kräfte für das Angebot der Telefonseelsorge 142 und den Online-Chat zu bündeln. Der zweite Bereich betrifft den Kleidershop: „Denn auch wenn die Zeit sehr schwierig ist, wird, denke ich, so etwas wie Normalität eintreten. Wir werden an die Bevölkerung herantreten mit der Bitte, den Kleiderkasten auszuräumen und die Kleider bei uns in Klagenfurt vorbeizubringen. Denn die Lager sind im Moment leer.“

Sandriesser ist erst seit sechs Wochen im Amt. Es sei eine „Lehrzeit im Turbotempo“, so der neue Caritasdirektor: „Eine langjährige Mitarbeiterin hat mich beruhigt und gesagt, auch meine beiden langjährigen Vorgänger hatten eine ähnliche Situation. Als Dr. Omelko kaum zwei Jahre im Amt war, gab es das große Erdbeben im Friaul. 2015 gab es die große Flüchtlingsbewegung für Dr. Josef Marketz, der noch kein Jahr im Amt war. Bei mir sind es jetzt sechs Wochen, also die Lernkurve geht steil nach oben.“

Was lässt sich aus Krisenzeiten lernen?

Dazu Sandriesser: „Ich schaue auf die kleinste gemeinsame gesellschaftliche Zelle, die Familie. Ich glaube, man kann jetzt sehr viel lernen. Deshalb ermutige ich ganz stark – die erste Woche hat, denke ich, noch Ferienstimmungscharakter, die zweite wird schon schwieriger. Deshalb ist es wichtig, dass man zu Hause besonders auf eine Tagesstruktur achtet – vor allem wenn man Kinder hat. Also eine ähnliche Tagesstruktur zu schaffen, wie es auch im Kindergarten oder in der Schule der Fall ist. Man steht in der Früh auf, hat aber vielleicht ein bisschen mehr Zeit um zu Frühstücken und sich zu unterhalten. Auf Dauer mit dem Pyjama herumzurennen ist wahrscheinlich auch nicht praktikabel.“

Was man dem Blick aus dem Fenster abgewinnen kann: „Es ist Frühling und schönes Wetter. Das Spazieren gehen ist mit genügend Abstand nicht verboten, man kann viel intensiver die Natur und den Frühling beobachten – es gibt so viele kleine Dinge, die man wahrscheinlich jetzt wieder intensiver wahrnimmt. Was man vielleicht auch lernt, etwas moderater mit Medienkonsum umzugehen. Damit meine ich, gerade wenn Kinder zu Hause sind, dass es vielleicht nicht gut ist, den ganzen Tag nur Sondersendungen anzuschauen. Es gibt gerade auf Radio Kärnten auch genug andere Sendungen, mit Musik, mit Gesprächen, wo man hört, wie Leute mit den Krisen umgehen – ich denke, wenn man sich ein bisschen umschaut, gehen wir alle gestärkt aus dieser Krise hervor.“

„Lernen in Krisen nicht immer das Schlechteste“

Seine bisherigen beruflichen Erfahrungen im Bereich der Aus- und Weiterbildung komme ihm auch jetzt in der Krise zu Gute, meint Sandriesser: „Wir befinden uns jetzt in einer Situation, auf die wir uns nicht vorbereiten konnten. Die Blaulichtorganisationen sind gut vorbereitet, aber individuell ist es ganz schwierig. Ich denke, das gerade in einer solchen Situation dem Selbstlernen eine große Bedeutung zukommt. Man sollte sich selbst einen Plan, eine Tagesstruktur machen. Ich lese in Buch, lerne eine Sprache, setze mich zum Klavier, die Italiener singen – aber auch das können die Kärntner wunderbar. All das, was wir jetzt nicht können, werden wir danach um ein Vielfaches nachholen. Sich darauf vorzubereiten ist eine gute Möglichkeit, diese Zeit auch gut zu bewältigen. Lernen in Krisen ist nicht immer das Schlechteste.“

Ernst Sandriesser
ORF
Ernst Sandriesser

Beruflich sei er – gerade in dieser Krise- „zu 100 Prozent“ in der Caritas Kärnten angekommen, auch wenn seine Gedanken oft auch noch in Wien bei seinen ehemaligen Mitarbeitern seien – er halte Kontakt über Telefon und Zoom. Mit den Lehrlingen werde von Seiten der Caritas versucht, ein Betrieb aufrechtzuerhalten – dasselbe sei auch anderen Betrieben zu empfehlen.

Barmherzigkeit, Solidarität und Nächstenliebe für die Welt

Auch die Flüchtlingssituation in Griechenland sei im Blick zu behalten, dasselbe betreffe Uganda – auch diese Länder seien von der Coronakrise betroffen und dürften nicht vergessen werden, meint Sandriessser: „Wir merken durch diesen Virus, dass wir eine Welt sind. Er verbreitet sich rasend schnell, wir Menschen sind aber in Lage, etwas dagegen zu setzen und Barmherzigkeit, Solidarität und Nächstenliebe um die Welt zu schicken – das wäre mein Wunsch.“