Grafik eines menschlichen Gehirns
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Gesundheit

Glück ist Futter für das Hirn

Der deutsche Hirnforscher Gerald Hüther hält das Schulsystem für eine „Katastrophe“ für Kinder, aber ideal dafür, Kinder so zu formen, wie die Gesellschaft sie brauche. Eltern haben die wichtige Aufgabe, Kindern die Freude am Lernen zu bewahren. Begeisterung und Glück sind Futter fürs Hirn.

Hüther war kürzlich zu einem Vortrag in Villach. Der Neurobiologe und Buchautor geht dem menschlichen Gehirn auf den Grund. Er gilt als „Popstar“ unter den Neurobiologen. Allein sein Bestseller „Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn“ verkaufte sich bislang über 100.000 Mal.

Viele Probleme liegen in Kindheit

Viele der Schwierigkeiten und Probleme, die im Laufe eines Lebens zutage treten, werden bereits im Kindesalter angelegt, so Hüther. „Es reicht schon, dass es Eltern gibt, die das Kind zum Objekt ihrer Absichten, Erwartungen, Ziele, Belehrungen und Maßnahmen machen. Da fängt es schon an, problematisch zu werden. Wenn das Kind erleben muss, dass es nicht so sein kann, wie es ist, sondern Erwartungen zu erfüllen hat, die die Erwachsenen vorgeben.“

Es sei in der Gesellschaft heute unheimlich schwierig, zu sagen, wie eine gute Führungskraft aussehen solle, und Eltern seien ja Führungskräfte: „Sobald die Eltern das Kind benutzen, um ihre eigenen Vorstellungen zu verwirklichen, wird es problematisch. Das geschieht ja alles unbewusst, Eltern wollen ja nur das Beste und sagen, dass sie ihr Kind lieben. Wie sie es empfinden, ist es ja auch so.“ Viele Eltern hätten Angst, etwas falsch zu machen, denn schlechte Noten in der Schule könnten ja wirklich eine Berufslaufbahn gefährden.

Kind muss Freude am Lernen haben

„Dann machen sie Druck und das ist möglicherweise genau das Falsche.“ Dem Kind solle möglich gemacht werden, dass es selbst Konstrukteur des eigenen Lernprozesses sei. „Ich kann dem Kind ja kein Netzwerk für Englisch ins Hirn bauen, oder für Mathe. Kinder sind keine Fässer, die man von oben anfüllt. Man kann nur versuchen, es zu interessieren, zu begeistern, damit es das lernen möchte, was den Eltern wichtig erscheint. Der Lernstoff muss emotionell aufgeladen werden und unter die Haut gehen. Dann will das Kind das auch lernen.“

Alle lernten auf diese Weise, auf zwei Beinen zu gehen, so der Hirnforscher. Das sei sehr kompliziert, aber es habe ohne Lehrer funktioniert. Auch Sprache lernen Kinder aus dem Nichts binnen zwei Jahren und lernen sogar den Dialekt dazu. Keiner zwinge das Kind dazu, aber es wolle es von sich aus. „Das Beste ist, wenn man dem Kind am eigenen Vorbild zeigt, wie toll es ist, etwas Neues zu lernen.“

Grenzen müssen gezogen werden

Kinder brauchen aber auch Grenzen, so Hüther, man müsse ihnen sagen, wann Schluss sei. Die Kinder probieren das auch aus und testen diese Grenzen. Es sei unverantwortlich, keine zu setzen. Regeln in der Familie schaffen Klarheit, das brauchen Kinder. Man mache dadurch Kinder nicht zum Objekt, sondern macht ihnen klar, was man selbst zu ertragen bereit sei.

Ein Federpennal auf einem Schultisch
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In Schulen geht es laut Hüther auch um Selektion. Dabei sei das Wichtigste, die Freude am Lernen zu bewahren

„Kinder müssen die Welt selbst entdecken. Wenn ich einem Kind zeige, wie das zum Beispiel mit den Maikäfern ist, die die Bäume leer fressen und dann Eier legen etc. In dem Augenblick, in dem ich es erkläre, kann es sich das selbst nicht aneigne, man behindert es.“ Zum Schulsystem, das dem entgegensteht, sagte Hüther: „Ich gehe nicht davon aus, dass das Schulsystem dafür da ist, dass die Kinder ihre Begabungen und Talente entfalten. Die sollen so werden, wie man sie braucht, damit die Gesellschaft so weiter funktioniert wie bisher.“

Schulen auch Orte der Selektion

Für diesen Zweck sei die ideale Schule, wenn möglichst viele Kinder herauskommen, die nicht wissen, was sie wollen, denen man alles einreden kann. Die gelernt haben, wie man andere über den Tisch zieht und sich im Wettbewerb durchsetzen. Das sind die idealen Schüler, die das gesellschaftliche System so fortführen. Für die Kinder aber oder das Gehirn ist sie eine Katastrophe." Schule müsste ein Ort sein, zu dem die Kinder gerne gehen, weil es viel zu entdecken und gestalten gebe.

Doch Schulen seien nicht nur Orte der Pädagogik, sondern auch der Selektion. „Das müsste man verbannen, denn Schulen können doch nicht Menschen in bessere oder schlechtere einteilen. Lehrer lassen sich missbrauchen. Man weiß doch nicht, was in 20 Jahren tatsächlich von den jungen Leuten verlangt wird.“

Es geht nicht um Sachwissen allein

Wenn man sich das bewusst mache, gehe es nicht mehr darum, dass die Kinder möglichst viel an Sachwissen in den Schulen lernen, sondern es müsste darum gehen, dass kein einziger Schüler die angeborene Freude am Lernen in der Schule verliert. „Wenn alle Schüler aus der Schule kommen, die Freude daran haben, etwas Neues zu lernen, ist die Welt in Ordnung. Sie können mit Freude ein Handwerk lernen oder studieren. Das schlimmste ist, einem Kind die Freude am Lernen zu versauen. Begeisterung ist Dünger fürs Gehirn.“

Im Hirn geht es um Beziehung

Das Hirn entwickelt sich im Lauf des Lebens weiter. Laut Hüther gehe es da aber nicht so sehr um Chemie oder Hormoncocktails, sondern es gehe um Beziehung. Es sei fast wie eine menschliche Gemeinschaft, mit dem Bild kommt man weiter. Das Hirn ist eine große Familie, die Nervenzellen arbeiten nicht mit Sprache sondern Botenstoffen und elektrischen Signalen. Sie unterhalten sich und haben verschiedene Meinungen, das geht demokratisch zu."

Hüther wurde 1951 in der damaligen DDR geboren, flüchtete Ende der 70er Jahre in die Bundesrepublik und war jahrzehntelang in der Hirnforschung tätig unter anderem am Max-Planck-Institut. Irgendwann wurde ihm klar, dass die Details und Fragestellungen immer kleinteiliger wurden und er habe gedacht, so werde er das Hirn nie verstehen. Dann sei er an eine psychiatrische Klinik in Göttingen gegangen und habe dort eine Forschungsabteilung aufgebaut.

Psychiatrie: Wie kann es soweit kommen

"Da hatte ich das ganze Gehirn und auch einen Menschen dran, das passte mir, da konnte ich die Erfahrungen einbringen. Ein Großteil der Patienten kämpfte mit Angststörungen, Depressionen, Süchten und vielen anderen Dingen. Die wären in die Klinik nie gekommen, wenn man einmal mit ihnen geredet hätte. Da habe ich die Lust verloren, im Hirn zu wühlen. Da habe ich die Frage verfolgt, was kann man tun, damit es nicht soweit kommt. Da unterscheide ich mit von anderen Hirnforschern. „Ich bin fest davon überzeugt, dass das mehr mit Wissenschaft zu tun hat, als das, was ich vorher gemacht habe.“

Das Hirn kann sich regenerieren

Das Hirn lernt bis ins hohe Alter. Man wisse heute, dass Nervenzellen noch Fortsätze bekommen könnten und neue Verbindungen herstellen. „Das Hirn könnte, wenn eine Stelle schrumpelt, an anderer Seite wieder aufbauen und sich regenerieren. Zum Beispiel nach einem Hirnschlag, bei dem große Bereiche absterben, haben es Menschen fertig gebracht, Verschaltungen für Sprache und Bewegungssteuerung auf der rechten Seite neu aufzubauen, während die linke Seite kaputt blieb.“

Da müsste man nicht so große Angst vor dem Alter haben. Aber: Abbau klappt immer, doch Wiederaufbau sei sehr schwierig und funktioniere nur, wenn es einem Menschen richtig gut gehe. "Wir bräuchten eine Lebenswelt für älter werdende Menschen, wo sie Lust haben, etwas aufzubauen. Wo sie keine Angst vor dem Alleinsein haben müssen. Jetzt kommt eine Generation in die Statistiken, die seltener dement wird, als vorhergehende Generationen im selben Alter.

Zustand des Glücks ideal fürs Hirn

„Die Häufigkeit von Demenzstörungen nimmt ab. Es gab noch nie so viele ältere Menschen, die soviel unternehmen, Theater, Kino, Wandern, Radfahren, die mit Freude Dinge unternehmen und sich um die Enkel kümmern. Manche übernehmen auch noch Ehrenämter, das ist Dünger fürs Hirn.“ So könnte man es hinnehmen, dass manche Teile vom Hirn nicht mehr funktionieren, weil an anderer Stelle schon wieder etwas aufgebaut werde.

Es gebe einen Zustand, in dem es dem Hirn am besten gehe: „Das ist der, wo der Energieverbrauch am niedrigsten ist, das hat mit Thermodynamik zu tun. Dieser Zustand ist der, wo alles am besten zusammenpasst – wenn man glücklich ist.“

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