Tor zum Grundstück mit Betreten-Verboten-Schild
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Aufgezeigt: Hilfe in Not

Die 81 Jahre alte Helga Ahlgrimm ist bei einem Verkehrsunfall im Juni in Bodensdorf schwer verletzt worden. Nach dem Unfall lag sie elf Tage lang allein daheim. Sie leidet an Wahnvorstellungen, die Polizei ließ sich immer wieder wegschicken. Nun stellt sich die Frage, wann man einem verletzten Menschen auch gegen seinen Willen helfen muss.

Wir trafen Helga Ahlgrimm auf der Alterspsychiatrie im Klinikum Klagenfurt. Nach dem Unfall musste ihr ein Teil des Fußes amputiert werden. Auf die Frage, wie es ihr gehe, sagte sie, es gehe ihr gut. „Mir tut nix weh, und ich wünschte, ich könnte wieder laufen, wie früher“. Dieser Wunsch wird sich für die zarte Seniorin nicht so rasch erfüllen.

Haus von Helga Ahlgrimm
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In diesem Haus in Bodensdorf sperrte sich die Pensionistin nach dem Unfall ein

Hilfe auch gegenüber der Polizei abgelehnt

Am 21. Juni fuhr ihr nahe eines Zebrastreifens in Bodensdorf ein Autofahrer über den linken vorderen Fuß. Die im Ort als seltsam bekannte Frau humpelte nach Hause und sperrte sich ein. „Ich weiß nur, dass es am Anfang sehr geblutet hat, das ganze Deckbett ist ja voller Blut, aber dann hat es aufgehört zu bluten, ja und dann kam die Polizei, das weiß ich noch“, sagt die Pensionistin. Danach sperrte sich Frau Ahlgrimm in ihrem Haus ein und lehnte jede Hilfe, auch gegenüber der Polizei, ab.

Sendungshinweis:

„Aufgezeigt“ Radio Kärnten, 15.10.2019

Die Polizei kam drei Mal, um nach der Pensionistin zu sehen. Frau Ahlgrimm öffnete die Tür nicht, sie sagte, sie habe Angst davor gehabt, weggebracht zu werden. „Ich hab immer gesagt, ich will Ruhe haben, die Polizei hat aber gewusst, dass ich verletzt bin.“ Ob Frau Ahlgrimms Schilderung stimmt, wissen wir nicht. Sie hat inzwischen eine Erwachsenenvertreterin. Silvia Atzler ist auch jene Freundin, die der Pensionistin zehn Tage nach dem Unfall nichtsahnend einen Besuch abstattete.

Unfallort Kreuzung mit Zebrastreife
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Auf dieser Kreuzung in Bodensdorf ereignete sich der Unfall

„Es hat bestialisch gestunken“

„Sie hat mir das Fenster einen Spalt aufgemacht und hat mir erzählt, dass ihr ein Auto über den Fuß gefahren ist. Ich hab dann vier Katzenbabys bei ihr drinnen gesehen, die total ausgehungert waren und sicher auch dehydriert. Es hat bestialisch gestunken, ganz schlimm, nach Ammoniak auch, da war nur Dreck.“ Silvia Atzler sah durchs Fenster, dass ihre Freundin verletzt war. Aber auch sie wurde von der Pensionistin weggeschickt.

„Ich hab dann die ganze Nacht nicht geschlafen, es hat mich so belastet. Am nächsten Tag bin ich zu ihr hin und hab gesehen, wie schlimm der Zustand ist.“ Am nächsten Tag rief Frau Atzler bei der Polizei an und bat die Beamten, zu kommen. Von der Polizei hieß es, der Fall sei abgeschlossen, sie seien am Tag vorher mit der Amtsärztin, dort gewesen, es sei alles OK gewesen, sie könnten da nicht weiter einschreiten.

Eine Bekannte sah durch dieses Fenster die verletzte Frau
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Frau Atzler zeigt Aufgzeigt-Redakteurin Gudrun Maria Leb (rechts)das Fenster, durch das sie die verletzte Pensionistin sehen konnte

Angst vorm Spital: „Da sterben die Leute“

Trotz heftigen Gegenwindes veranlasste Frau Atzler schließlich, dass Helga Ahlgrimm gegen ihren Willen ins Spittal gebracht wurde. „Ich hab sie überredet, dass sie sich helfen lässt, sie hat gesagt, sie hat Angst vorm Spital, da sterben die Leut.“ Ein Teil des Fußes musste am 12. Juli amputiert werden. Helga Ahlgrimms Leben wurde damit zwar gerettet, aber die Geschichte ist noch lange nicht ausgestanden.

Beim Lokalaugenschein des ORF war die Matratze mit der blutigen Decke durch das Fenster deutlich zu sehen. Wir sahen sogar den Clog-Schuh, mit dem sie am Unfalltag unterwegs war. Es roch streng und es war sehr schmutzig. Das hätten auch Polizei und Amtsärztin bei ihren Besuchen gesehen haben müssen. Aber sie ließen sich von Frau Ahlgrimm wegschicken, obwohl ihr psychisches Leiden in Bodensdorf bekannt ist.

Schlafstätte von Helga Ahlgrimm zwei Matratzen am Boden
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Auf diesen Matratzen lag die Verletzte, als sie von ihrer Freundin durch das Fenster entdeckt wurde

Frau Ahlgrimm: Abtransport sehr grob

Die Amtshandlung ihres Transportes ins Krankenhaus erlebte Frau Ahlgrimm als sehr grob. „Da hätte einer nur richtig ruhig sprechen sollen, wir sehen, dass es besser ist, wenn sie ins Krankenhaus gehen, dass ihr Fuß geheilt wird, einfach ein paar ruhige Worte. Aber die waren ganz grob. Ich hab gedacht, ich komm ins Gefängnis, so grob waren die.“

Wir vom Aufgezeigt-Team wissen nicht, ob diese Schilderung so stimmt. Frau Atzler war nicht dabei, die Polizei hat sie nicht mehr in die Nähe ihrer Freundin gelassen.

Helga Ahlgrimm im Rollstuhl mit ihrer Bekannten
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Seit dem Unfall sitzt die Pensionistin im Rollstuhl, begleitet von ihrer Freundin Silvia Atzler

Not- und Krisendienst könnte helfen

Für Primarius Herwig Oberlerchner, den Abteilungsvorstand der Psychiatrie im Klinikum Klagenfurt, ist diese Geschichte „ganz sicher kein Einzelfall“. Auf die Frage, wie er sich erklären kann, dass Polizei und Amtsärztin elf Tage lang nichts unternehmen, sagte Oberlerchner, für Polizei und Amtsärztinnen sei es oft nicht einfach, Entscheidungen zu treffen, die sich gegen den Willen der Menschen richten.

„Eine Möglichkeit wäre, den psychiatrischen Not- und Krisendienst in solchen Fällen – der ist rund um die Uhr in ganz Kärnten erreichbar – einzuschalten und zu bitten, sich aus der psychiatrisch-psychosozialen Perspektive ein Bild zu machen. Ich glaube, dass es vielleicht gelungen wäre, nach einem 15- bis 30-minütigen Gespräch, in dem die Patientin Vertrauen aufzubauen imstande ist, sie zu einer Untersuchung zu bewegen, sie ins Krankenhaus zu bringen, ohne dass es zu einer massiven Verletzung der Würde oder des Respektes von ihr gekommen wäre.“

Polizeisprecher Rainer Dionisio
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Polizeisprecher Rainer Dionisio

Polizeisprecher: Sachverhalt angezeigt

Die Polizei holte aber weder den psychiatrischen Not- und Krisendienst, noch die Rettung zu Hilfe. Silvia Atzler wurde am 1. September zu Frau Ahlgrimms Erwachsenenvertreterin ernannt. Sie beschwerte sich über das Vorgehen der Beamten und warf ihnen „unterlassene Hilfeleistung“ vor.

Polizeisprecher Rainer Dionisio sagte, die Kärntner Polizei sei „getragen von Hilfeleistung“. In diesem konkreten Fall gebe es jetzt den Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung. „Das heißt, es wäre dem Unfallopfer nicht die gebotene Hilfeleistung zugekommen. Das bedeutet für uns aber auch ganz klar, das muss aufgeklärt werden und da gibt es nur einen Weg. Der Sachverhalt wird jetzt der Staatsanwaltschaft angezeigt und die Staatsanwaltschaft wird dann beurteilen, ob hier tatsächlich ein strafbares Verhalten vorliegt oder nicht.“

Wenn etwas nicht in Ordnung gewesen sein sollte, könnte es zu einer Anklage kommen und das Gericht müsste urteilen. Dann müsste auch intern geprüft werden, „ob die Vorschriften eingehalten wurden und ob ein vorwerfbares Verhalten in disziplinärer Hinsicht gegeben ist“, sagte Dionisio.

Helga Ahlgrimm ist 81 Jahre alt
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Helga Alhgrimm: Ich wünsche mir ein Zimmer mit Bad

Pflege für Unfallopfer gesucht

Das brennendste Problem für die Pensionistin ist aber, wo sie nach ihrem Krankenhausaufenthalt hin soll. Sie sitzt ja im Rollstuhl und braucht Pflege. „Ich wünsche mir ein Zimmer mit Bad, Terrasse und Garten, ein Stück Garten brauch ich schon für meine Kräuter, ich leb’ von Kräutern.“

Andrea Neuschitzer-Meisslitzer von der Abteilung für Gesundheit und Pflege in der Kärntner Landesregierung half ganz unkompliziert weiter. „In absehbarer Zeit sollte ein Platz für Frau Ahlgrimm frei sein, wo sie gut versorgt werden kann.“ Auch ein Zugang zu einem Garten werde möglich sein.

Haus von Helga Ahlgrimm
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Das Wohnhaus der Pensionistin

Noch offene Fragen zu klären

Nach Informationen des Aufgezeigt-Anwaltes Arthur Berger vergingen nach dem Unfall am 21. Juni ganze 82 Tage, bis die Polizei erstmals das Unfallopfer Frau Ahlgrimm befragt. Erst zwei Monate nach der Amputation des Vorderfußes kam ein Polizist ins Krankenhaus.

Und nur Tage später wird das Strafverfahren der Staatsanwaltschaft gegen den Unfalllenker eingestellt. Unserem Anwalt Arthur Berger erscheint das sehr rasch.

Anwalt Arthur Berger
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Aufgezeigt-Anwalt Arthur Berger

Keine Alkohol-Überprüfung bei Unfalllenker

Die Einstellung des Verfahrens sei insofern unverständlich, sagte Berger, da es einerseits eine Zeitlücke von 45 Minuten gebe, zwischen dem Unfallgeschehen und der Meldung durch den Unfalllenker bei der Polizei, „auf der anderen Seite ist bei ihm keine Alkohol-Überprüfung durchgeführt worden.“

„Aus dem ganzen Aktenmaterial lässt sich nicht entnehmen, an welcher konkreten Stelle der Unfall überhaupt stattgefunden hat,“ sagte Berger. Unser Anwalt fordert eine Begründung der Staatsanwaltschaft an und will erreichen, dass das Verfahren fortgeführt wird und Frau Ahlgrimm ein Schmerzensgeld und Schadenersatz bekommt.

Am Zaun des Grundstückes verkünden Schilder dass das Betreten verboten ist
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Der Vermieter sperrte den Zugang zu Frau Ahlgrimms Wohnhaus

Vermieter sperrte Weg: Unzulässig

Bleibt das Vorgehen des Vermieters, das ebenfalls zu hinterfragen ist. Nur einen Tag, nachdem Helga Ahlgrimm ins Krankenhaus gekommen ist, wurde die einzige Zufahrt zum Haus versperrt. Der gesamte Zufahrtsweg wurde damit über Nacht Privateigentum, obwohl der Mietvertrag aufrecht ist. Nach Auskunft von Jasmin Klösch-Bergthaler vom Mieterschutzverband ist das nicht zulässig. „Nein, das geht natürlich nicht. Der Vermieter ist nicht berechtigt, ein Schloss am Gartentor anzubringen, das ist ganz klar Besitzstörung. Weil die Mieterin oder deren Vertreterin jetzt nicht mehr über das Mietobjekt verfügen können, kann sie den Mietzins mindern oder ganz aussetzen.“

Livegäste im Radiostudio

Am Dienstag zwischen 15.00 und 16.00 Uhr kommt Arthur Berger, der „Aufgezeigt-Anwalt“ der den Fall gratis übernimmt und um Schmerzengeld und Schadenersatz für Frau Ahlgrimm kämpft, außerdem Herwig Oberlerchner, Primarius der Psychiatrischen Abteilung im Klinikum, der viele ähnliche Fälle „Frau Ahlgrimm“ kennt. Rainer Dionisio, Sprecher des Landespolizeikommandos, der erzählt, wie schwierig es manchmal für Polizisten ist, die Mittel richtig zu wählen.