Naturschutz: Ein David gegen Goliath-Problem?
Die Natur ist für die meisten Menschen ein schützenswertes Gut, zumindest solange, bis es um handfeste wirtschaftliche Interessen geht - oder die Nutzung des eigenen Grund und Bodens eingeschränkt zu werden droht. Der jahrelange Streit um die Natura 2000 Gebiete ist da nur ein Beispiel. Umgekehrt fühlt sich so mancher Wirtschaftstreibende vom Naturschutz unfair behandelt.
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„Konflikte eskalieren immer schneller“
Christina Pichler-Koban und Martina Ukowitz haben an Beispiel der streng geschützten bauchigen Windelschnecke erforscht, wie Naturschutzentscheidungen gesellschaftlich ablaufen. In „Der Vertigo-Effekt. Die Manifestation gesellschaftlicher Anliegen im Naturschutz“ haben sich die beiden Wissenschaftlerinnen auf Lösungssuche begeben und mit einer ganzen Reihe von Experten und Betroffenen auf regionaler, nationaler und EU-Ebene gesprochen.
Ein Ergebnis dieser Befragungen: Konflikte würden immer schneller eskalieren und es brauche mitunter einen langen Atem, um Projekte umzusetzen. Auf beiden Seiten herrsche großes Misstrauen.
Finanzkräftige Investoren tun sich leichter
Ukowitz: „Es wird zum Teil als ungerecht empfunden, dass finanziell potente Projektwerber sich auch wesentlich leichter in diesem Umfeld bewegen können – schlichtweg deshalb, weil sie Verfahren leichter durchstehen können. Kleinere Projektwerber oder Landwirte tun sich schwerer und scheuen sich davor, in längerfristige Prozesse zu gehen."
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Betroffener: „Ohne UVP-Verfahren geht nichts“
Franz Dorner zum Beispiel kämpft seit 2011 für das Projekt Bärofen auf der Koralm. Acht Windräder sollen errichtet werden, gescheitert ist das bis jetzt an Einsprüchen. "Das größte Problem sind die Naturschutzagenden. Einmal ist es der Käfer, einmal der Endemit, einmal das Rauhfußhuhn die das Ganze immer wieder torpedieren. Wobei: es wird ja alles ganz genau untersucht und stellt in Wirklichkeit kein Hindernis dar“. Weil laut Dorner ohnehin Ausgleichsflächen für die Tiere geschaffen würden.
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Aber: „Ohne UVP besteht in Kärnten keine Chance, etwas durchzubringen. Man ist zu 98 Prozent fertig, dann gibt es irgendeine Kleinigkeit – deshalb macht man gleich eine Umweltverträglichkeitsprüfung, es geht nicht anders.“ Der Kostenpunkt einer UVP liege bei einer halbe bis zu einer dreiviertel Million Euro. Seit 2011 seien knapp zwei Millionen in sein Windpark-Projekt geflossen, so Dorner.
Land: Gemessen an Verfahrensdichte selten Probleme
Eine Darstellung, die man so beim Land nicht bestätigen will. Auch wenn geschützte Arten in einem Gebiet vorkämen, bedeute das nicht, dass ein Projekt nicht umgesetzt werden könne, betont Christian Kau von der Abteilung für Naturschutz: „Grundsätzlich laufen in jedem Bezirksverwaltungsbereich hunderte an Naturschutzverfahren jedes Jahr ab. Das sind etwa 350 Naturschutzverfahren und das mal neun – dann weiß man, wie oft der Naturschutz betroffen ist und wie selten es in Relation wirklich Probleme gibt.“
Forscherinnen: Rote Liste bräuchte Ergänzung
Den Forscherinnen zufolge sei die Natur dem Menschen sowieso immer ein Stück weit voraus. Um wirklich alle Arten eines Lebensraums zu erfassen, fehle es der Wissenschaft schlichtweg an Zeit und Geld. Ein Beispiel: Von den 650 Käferarten in Kärnten seien gerade einmal drei Arten gut erforscht.
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Dass vom „Juchtenkäfer“ trotzdem wohl jeder schon einmal gehört hat liegt wohl daran, Naturschutz-Konflikte sehr emotional und vor allem öffentlichkeitswirksam ausgetragen werden.
Ohne den richtigen Experten keine Gefährdung?
Ukowitz: „Wir haben gesehen, dass der Umstand ob es gefährdete Arten gibt, damit zu tun hat, ob es Experten dafür gibt.“ Außerdem bekämen größere und nett anzuschauende Tierarten mehr Aufmerksamkeit von der Forschung. Die „Rote Liste“ gefährdeter Arten sei zwar ein wichtiges Instrument für den Naturschutz, aber eben nicht vollständig. Es komme zu Verzerrungen - dem sogenannten „Vertigo“-Effekt, so Ukowitz.
Klare Regeln durch Raumordnung nötig
Wie kann es nun zu Lösungen geben, wenn Naturschutz und Wirtschaftsinteressen aufeinanderprallen? Laut den Forscherinnen braucht es klarere Vorgaben durch die Politik, um zu Entscheidungen zu kommen. Es müssten - etwa über die Raumordnung - bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden. Ansonsten seien „Stellvertreterkonflikte“ über geschützte Schnecken, Käfer oder Ameisenhügel auch weiterhin vorprogrammiert.