Widners schonungsloser Blick auf Literatur

„Botengang 2. Facetten und Klumpen“ ist der Titel des Manuskripts, an dem Alexander Widner arbeitet. Er versammelt darin Facetten und Klumpen seiner Welt, seines Denkens, seiner Vorstellung von der Literatur schonungslos, kritisch, aber voller Humor.

Literatur als Nachdenken über die Welt, den Literaturbetrieb, das Schreiben, die eigene Person und damit auch das Alter. Diese Texte sind kein Roman, keine Erzählung, sondern nur noch Facetten und Klumpen. Geschrieben mit einem schonungslosen Blick, großer Klarheit aber ohne jede Sentimentalität oder Wehleidigkeit. Laut Widner ist jeder Mensch neben anderen Einflüssen vor allem auch ein Produkt seiner Lektüre.

Alexander Widner

ORF/Michaela Monschein

„Ich hatte das Glück oder Pech, für mich in dem Fall ein Glück, sehr früh mit den so genannten französischen Moralisten in Berührung gekommen zu sein, die nicht langatmige Romane schrieben, sondern Beobachtungen festhielten.“ Sie seien im romanischen Sprachraum sehr viel gelesen worden, der deutschen Sprachraum habe sich um diese Art Literatur nicht gekümmert, viele Moralisten seien immer noch nicht übersetzt, so Widner.

Texte

Alexander Widner

Alexander Widner

Fridell habe diese Schriftsteller gut erkannt, so habe er „Maxims“ von La Rochefoucauld als Beginn einer Epoche bezeichnet. „Die sind mir früh in die Hände gefallen. Ich, als Schüler mit langatmigen Büchern gefüttert, war ganz baff, dass man etwas so in aller Kürze sehen kann.“ Widner sagte, es würde nichts fehlen, wenn man aus Büchern 50 Prozent streiche: „Ich bemühe mich, diese 50 Prozent gleich zu streichen und es sollte nichts fehlen, wenn jemand noch mehr streicht. Es soll noch immer eine gewissen Grundaussage bestehen bleiben. Es konnte natürlich auch das Gegenteil stimmen, ich behaupte das nur.“

Alexander Widner

Widner wurde 1940 in Wien geboren und wuchs in Kärnten und Niederösterreich auf. Mit 40 Jahren veröffentlichte er sein erstes Buch. Nach jahrelangen Aufenthalten in den USA kehrte er wieder nach Klagenfurt zurück und arbeitete bis zu seiner Pensionierung in der Kulturabteilung der Stadt Klagenfurt. 2015 wurde der Schriftsteller mit dem Preis des Landes Kärnten für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Lieber Ekel als possierliches Tierchen

Das Älterwerden bedrücke einen am meisten, so Widner. „Weil man ja noch immer, obwohl man es schon ad acta legen könnte, in einem Berg von Sorgen steckt. Heidegger (Philosoph Martin Heidegger, Anm.) hat es auf eine Kurzformel gebracht: Leben = Sorge. Von einem glücklichen Leben zu sprechen ist aufgrund diese Einsicht sehr kühn. Ich werde nie zu einem wirklichen Glück vorstoßen und nie einen Satz fertigbringen, der jemanden glücklich macht.“ Denn dann könnte er zu einem Liebling werden und das wäre „des Entsetzlichste“. „Lieblingsschriftsteller“ klinge nach possierlichem Tierchen, da sei er lieber ein Ekel, so Widner.

Klagenfurt ist überall

Eine Stadt anderswo, irgendwo bis ins Groteske überzeichnet, ist der Roman „Kreitzberg“. Es könnte sich um Klagenfurt handeln, aber auch um jede andere Provinzstadt: „Natürlich soll es nicht auf Klagenfurt bezogen sein, aber in Provinzstädten laufen ja dieselben Vorgänge ab. Man hat die geltungssüchtige Obersicht, das ist das lächerlichste, das es gibt, so eine Provinz-Oberschicht.“ Zu seiner Beziehung zu Klagenfurt sagte Widner, das Leben lasse einen oft irgendwo hingeraten. „Ich muss aber sagen, dass ich mich mit Klagenfurt und seinen Schwächen ganz gut zurecht gefunden habe. Ich kann nicht sagen, dass ich ungern hier leben, ich werde wohl die restlichen Jahre versuchen, in Frieden mit dieser Stadt auszukommen. Sie wird mich auch nicht beißen, glaube ich.“

Textauszüge

„Wo ich hause, ist mein Stall, mein Kloster, mein Universum, mein Palast, meine Wüste, meine Musik, meine Ablehnung, mein Zwinger, mein Wahn, mein Von-allem-Wegsein, mein aufbegehrendes Resignieren, mein Horchen, meine Erinnerungshöhle, mein Zufall, mein Gerappel, mein Müßiggang, mein Freigehege, mein Verlies, mein Mutmaßen, meine Rastlosigkeit, mein Kleinmut, meine Zuneigung, mein Los“.

„Oft, nein, immer schmeckt ein Schweinskotelett mit Braterdäpfeln, friends forever, besser als ein Bündel Weisheit“.

In seinem letzten Manuskript geht es auch um den Umgang mit schön geredeter, verklärter Vergangenheit: „Wenn wir unsere nicht allzu glorreiche Vergangenheit anschauen, zurück bis Franz Josef, dessen Zeit total verklärt wird, und uns die Bedingungen anschauen, unter denen die Ringstraße erbaut wurde, ist das verheerend. Wenn unmenschliche Einbrüche kommen, wo man meinte, ohne die höchstbegabten Juden auskommen zu könne, ich keinen Ansatz für eine Verklärung sehe. Wir müssen uns erst allmählich eine Welt aufbauen, an die man sich einmal gerne erinnern wird.“ Bisher sei das nicht gelungen.

Zwei verschiedene Nietzsches

Zuletzt wurde in Klagenfurt Widners Theaterstück zu Friedrich Nietzsche aufgeführt. Im Stück ist er ein anderer, als man gewohnt ist: „Es gibt den Nietzsche der Werke und den Nietzsche der Briefe. Das ist eine Riesendiskrepanz oft. Wenn er an die Freunde Briefe schreibt und aus sich herausgeht, sich als Mensch im guten Sinn bloßstellt, der wird gar nicht beachtet. Er war ein tief unglücklicher Mensch, der ein gewaltiges Werk hergestellt habe, dabei aber immer fand, dass seine Privatheit zu kurz kommt. Darunter hat er gelitten und seinen Freunden geschrieben. Er war ein ganz sensibler Kopf.“

Nietzsche oder das deutsche Elend Klagenfurter ensemble Alexander Widner

Tina Perisutti

Nietzsche oder das deutsche Elend

Stolzer Großvater

Literatur sei wichtig, doch Familie und Freunde seien noch wichtiger. Er sei erstaunt gewesen, dass ein Hermann Hesse Frau und drei kleinen Kinder verlassen hatte, nur um ein Dichterleben führen zu können. „Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür und dass er dann einen unsinnigen Satz schreibt wie ‚Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne‘. Das war eine Risenschweinerei, das ist alles.“ Seine Enkelkinder kommen immer wieder in den Texten vor, sie seien ja die eigene Fortsetzung, um die man sich mit Freude kümmere.