Experten: Suchtprävention ist Kinderschutz

An der Uni Klagenfurt findet der Jahreskongress der österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie statt. Laut Experten greifen im Kampf um Drogen Strafen zu kurz. Ein früher Schutz vor Gewalt, Angst und Vernachlässigung sei effektiver.

Derzeit findet an der Uni Klagenfurt der Jahreskongress der österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie statt. Die Experten sind sich einig: Das Thema Sucht gleicht in vielen Dingen einer gesellschaftlichen „Baustelle“. Wobei die Frage nicht lauten dürfe, was zu reparieren sei, sondern wie verhindert werden könne, dass überhaupt etwas „kaputt“ gehe.

Jahreskongress österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie

ORF

Jahreskongress der österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Traumata verändern Gehirnstruktur

Etwa 80 Prozent der klassisch Opiatsüchtigen in Behandlung hätten in der Kindheit schwere Traumata erfahren, so Martin Kurz, Psychotherapeut und Leiter der Abteilung für Psychiatrie am Krankenhaus Zams. Die aktuelle Hirnforschung zeige außerdem, dass sich bei Menschen, die Traumata erleben oder viele belastende Erlebnisse hintereinander erleiden, das Gehirn auf struktureller Ebene verändere, etwa im Bereich der Amygdala, des Hippocampus und des Limbischen Systems.

In „suchtrelevanten“ Hirnstrukturen könne ein geringeres Volumen, eine geringere Durchblutung und geringere Konnektivität auftreten. „Die Tatsache, dass man Kinder nicht schlecht behandeln darf, ist zwar moralisch längst abgehandelt worden, es ist aber auch eine gesundheitspolitische Frage“, so Kurz.

Bestimmte Zeitfenster besonders kritisch

Betroffene seien auf Entwicklungsaufgaben weniger gut vorbereitet. Dazu gehöre etwa das Erbringen von Leistungen, das Pflegen von Beziehungen oder die „Selbstberuhigung“, sprich der richtige Umgang mit Stress um psychisch ausbalanciert zu sein, so der Experte: „Es gibt sogar Hinweise darauf, dass es Zeitfenster gibt, in denen bestimmte Dinge – wie Mobbing in der Schule oder Cybermobbing – nicht passieren dürfen, weil sich später im Leben, ab einem Alter von 18 Jahren, spezifische Erkrankungen wie Depressionen und Suchterkrankungen, entwickeln können.“

Bei Mädchen kann die Zeugenschaft von Gewalt zwischen Eltern vor allem im Alter zwischen sieben und acht Jahren besonders schwere Folgen haben, bei Buben ist die „vulnerable Phase“ zwischen zehn und elf Jahren angelegt.

Vom Leben im wahrsten Sinne des Wortes „beschädigte“ Kinder werden später eher zu Drogen greifen respektive psychische Störungen entwickeln, wobei auch diese wiederum den Suchtgiftkonsum begünstigen können.

Gesellschaft muss mehr Halt bieten

Für die Experten lässt sich daraus ein direkter Auftrag an Familie, Gesellschaft und Politik ableiten. Ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt, um Süchte bei Kindern und Jugendlichen erst gar nicht entstehen zu lassen, sei der bestmögliche Schutz vor Angst, Gewalt und Vernachlässigung. Kurz sieht hier Handlungsbedarf in der Pädagogik, in den Schulen, aber auch in der Unterstützung von Familien – „vielleicht auch in einem entspannteren Bild von ‘Was ist gute Erziehung.“

Dadurch müssten dann später keine Schäden mehr im Rahmen von Therapien ausgeglichen werden, bzw. versucht werden, die Dinge wieder aufzuholen, die zu einem anderen Zeitpunkt versäumt wurden. Es gehe darum, wie Schulen, Sportvereine und Gemeinden strukturiert seien - „im Sinne von Solidarität und Halt gebenden Strukturen“.

Drogen oft Ersatz für menschliche Bindungen

Die repressive Begandlung Drogenkranker - sprich Strafen und Beschränkungen - seien Studien zufolge wenig zielführend. Der Konsum von Substanzen - legalen oder illegalen- sei ein „Bindungsersatz“ und ein Versuch der Selbststabilisation. Süchtige versuchten ihr psychisches Überleben mit Drogen zu sichern. Um Menschen eine gute Lebens-Basis zu schaffen, müsse in Frühe Hilfen und in die ersten Lebensjahre eines Kindes investiert werden.

Schutzfaktoren vor Süchten aller Art seien gute Beziehungen, eine aktive Freizeitgestaltung und vor allem die Möglichkeit eine „nützliche Existenz“ zu führen.

Experte: Mehr psychotherapeutische Angebote nötig

Auch bei der psychotherapeutischen Versorgung gebe es Nachbesserungsbedarf. Wolfgang Wladika vom Klinikum Klagenfurt kritisierte, dass es zumindest in den nächsten zwei Jahren in Klagenfurt keine Psychotherapie auf Kassenkosten geben werde: „In Villach wird es möglicherweise nächstes Jahr endlich möglich sein. In Spittal gibt es sechs bis acht Behandlungsplätze. Das ist definitiv zu wenig.“ Außerdem würden Kinder- und Jugendpsychiater benötigt, die außerhalb der Ballungszentren zur Verfügung stünden. Jeder Euro für die Kinder- und Jugendpsychiatrie mache sich später vierfach bezahlt. Durch Psychotherapie könnten auch traumatabedingte Veränderungen am Gehirn wieder rückgängig gemacht werden.

Politik sucht nach Lösung für Drogenproblem

18 Drogentote hat es heuer bisher in Kärnten gegeben, geschätzte 5.000 Menschen in unserem Land sind von illegalem Suchtgift abhängig. Das Drogenproblem in Kärnten wurde am Donnerstag im Landtag debattiert. Auf Antrag der ÖVP wurde in der „Aktuellen Stunde“ darüber diskutiert, welche Lösungen es geben könnte - mehr dazu in Landtag sucht Lösung für Drogenproblem (kaernten.ORF.at; 20.9.18).