Kärnten: Nur für den Sommer gut genug?

Jedes Jahr verlassen rund 5.000 Menschen Kärnten, um in andere Bundesländer zu ziehen. Die meisten sind jung und gebildet. Im Sommer verbringen sie den Urlaub Zuhause, doch die wenigsten kehren ganz zurück. Wieso ist Kärnten oft nur für den Sommer gut genug?

“Ich war achtzehneinhalb Jahre in Kärnten. Ich wollte einfach raus, etwas anderes sehen und neue Leute kennenlernen”, sagt die 21-jährige Elisa Leitner. Sie studiert in Graz an der pädagogischen Hochschule Volksschullehramt. Eine Pädagogische Hochschule gibt es in Kärnten auch, aber studieren wollte Elisa Leitner dort nicht: “Meine Mutter hätte sehr gerne gehabt, dass ich hier studiere. Sie sagt auch heute immer noch, dass ich mich versetzen lassen soll. Ich habe aber gewusst, dass ich selbstständig sein wollte und in Klagenfurt nicht so viele neue Leute kennengelernt hätte. Graz ist zwar auch ein Dorf, aber Klagenfurt ist einfach ein noch kleineres Dorf.“

Hitzewelle in Kärnten Juli/August

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Kärnten ist zu einem großen Teil ländlich geprägt

Kärntens Bevölkerungszahl schrumpft jedes Jahr

Kärnten ist das einzige Bundesland Österreichs, das an Bevölkerung verliert, so die Statistik Austria. Zwischenzeitlich konnte der Bevölkerungsverlust durch die Flüchtlingskrise ausbalanciert werden, doch nach Prognosen der Statistik Austria wird Kärnten auch in den nächsten Jahrzehnten schrumpfen. Zu viele Menschen wandern aus. Dazu kommt eine negative Geburtenbilanz, es sterben mehr Menschen als geboren werden.

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Die Bevölkerungsprognose der Statistik Austria

Über zwei Drittel zwischen 15 und 34 Jahren

Rund 5.000 Kärntner wandern jährlich in ein anderes Bundesland Österreichs ab. Birgit Aigner-Walder machte es sich zur Aufgabe, sich mit jenen Kärntnern zu befassen, die zwar Kärnten, aber nicht Österreich verlassen. Sie ist Volkswirtschaftlerin an der FH Kärnten am Standort Villach und leitet dort das Department für demografischen Wandel und regionale Entwicklung. Gemeinsam mit dem Volkswirtschaftler an der Universität Klagenfurt, dem Kärntner Bildungsdirektor Robert Klinglmair, verfasste sie 2013 eine Studie zum Thema Abwanderung. Mehr als zwei Drittel der rund 600 befragten Abwanderer waren zwischen 15 und 34 Jahre alt. Die meisten gingen nach Wien und in die Steiermark.

Dass die Abwanderer größtenteils jung und hochqualifiziert sind, könnte eine Gefahr für Kärntens Wirtschaftsleistung sein, so Aigner-Walder. „In dem Fall ist das Bundesland dann doppelt betroffen. Potenzielle und hochqualifizierte Arbeitskräfte verlassen das Bundesland. Vor allem was die Zukunft betrifft: Man weiß ohnehin, dass aufgrund der alternden Bevölkerung Arbeitskräfte fehlen werden. Besonders ländliche Gegenden spüren, dass die Bevölkerung immer älter wird.“

”In Wien ist das Angebot einfach besser”

Wenn es bei Elisa Leitner eher um die Selbstständigkeit und das Wegkommen ging, geht es den meisten jungen Kärntnern nach der Studie vorrangig um die Ausbildung. Fast die Hälfte der weggezogenen ehemaligen Kärntner - rund 48 Prozent - zog wegen der Ausbildung weg. Wie Julia Struger zum Beispiel. Acht Jahre lang besuchten sie und Elisa Leitner dasselbe Gymnasium. Dann trennten sich ihre Wege. Julia Struger studiert derzeit Wirtschaftsrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien: “Mein Studium gibt es in Klagenfurt gar nicht. Das Angebot in Wien ist einfach besser. Wien ist etwas ganz anderes als Klagenfurt. Mehr Leute und generell ist mehr los.”

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Die Gründe der Befragten für den Wegzug aus Kärnten

Im Sommer zurück?

Beide, Julia Struger und Elisa Leitner, kehren seit zwei Jahren jeden Sommer nach Kärnten zurück und verbringen ihre Ferien hier. “Wegen dem See”, sagt Elisa Leitner. “Und natürlich auch weil man Freunde und die Familie da hat,”, ergänzt Julia Struger, “im Sommer kommen in Kärnten alle wieder zusammen.” Beide finden, dass Kärnten in Sachen Freizeitangebot gut dabei ist. Die Seen, das Wandern in den Bergen, das Radfahren, das Skifahren im Winter, das alles nennen sie als “Pluspunkte” für Kärnten. “Man erkennt erst, wie schön es daheim ist, wenn man weg ist. Dann fängt man an Kärnten zu schätzen”, sagt Julia Struger.

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Elisa Leitner und Julia Struger (v.li.) kehren jeden Sommer nach Kärnten zurück

Neues Lebensumfeld gebildet

Aber die Freizeitmöglichkeiten in Kärnten können nicht jeden zum Bleiben oder gar zum Zurückkehren bewegen. Franco Nieddu studiert seit fünf Jahren in Graz. Zuerst machte er seinen Bachelor im Studiengang Softwareentwicklung und Wirtschaft, jetzt studiert er im Master Informatik an der Technischen Universität Graz (TU). Seit zwei Jahren ist Franco Nieddu auch im Sommer beinahe durchgehend in Graz. Zurückkommen nach Kärnten ist für ihn kein Thema mehr.

„Ich habe meine ganzen Freunde in Graz. Jetzt arbeite ich seit vier Jahren an der TU und da habe ich dann keine Zeit nach Kärnten zu fahren. Mein Lebensmittelpunkt hat sich also komplett von Klagenfurt nach Graz verschoben.“ Anfangs sei er noch finanziell auf seine Eltern angewiesen gewesen, auch die Wäsche habe er Zuhause gewaschen. Damals hätte er vielleicht noch zurück wollen, jetzt aber nicht mehr, er sei selbstständiger geworden.

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Franco Nieddu auf dem Weg nach Graz

Zurückkehren als Rückschritt?

Die Volkswirtschaftlerin Birgit Aigner-Walder kennt dieses Phänomen. Oft würden sich junge Menschen in dem Land oder der Stadt in der sie studieren beheimaten: „Man baut sich einen neuen Freundeskreis auf, arbeitet schon während des Studiums und dann kann es sehr gut sein, dass die Menschen dort bleiben wo sie studiert haben.“ Franco Nieddu sagt, dass es eine Art „Cut“ war für ihn von Kärnten wegzugehen. Wenn er jetzt wieder zurückgehen würde, wäre das ein Schritt zurück in seiner Entwicklung.

Problem des Nicht-Wiederkommens

Genau das ist das Problem, sagt Aigner-Walder: „Das Ziel sollte nicht sein, die Jungen zu halten. Das ist auch gefährlich. Es ist ja prinzipiell nicht schlecht, in ein anderes Bundesland oder auch ins Ausland zu gehen um neue Erfahrungen zu sammeln. Toll wäre es dann natürlich, wenn man mit diesen neuen Erfahrungen wieder zurückkehrt. Neben dem Brain Drain, sprich der Abwanderung von Gehirnleistung, existiert auch der Begriff Brain Circulation, von der das Bundesland profitiert.“

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Nazar Golovenko

Birgit Aigner-Walder beschäftigt sich an der FH Kärnten mit der Abwanderung

Die Frage sei also nicht, wie könne man die jungen Kärntner halten, sondern was brauche es, um die Personen wieder zurückzuholen oder was brauche es generell, dass junge, qualifizierte Leute nach Kärnten kommen. Es müssen ja nicht nur ehemalige Kärntner sein, so Aigner-Walder. Die relevante Frage sei, wie könne man Kärnten für junge Menschen attraktiv machen. Laut der Studie wollen knapp 45 Prozent der abgewanderten Kärntner wie Franco Nieddu nicht mehr nach Kärnten zurück. Etwa genauso viele sind sich noch unschlüssig und rund zwölf Prozent wollen sicher zurückkehren. Auffallend ist, dass die Rückkehrabsicht umso größer ist, je kürzer der Wegzug zurückliegt.

Zurückkehren ja, aber nur wenn es Jobs gibt

Verena Hofmeister gehört zu den Wenigen, deren Plan A es ist zurück zu kehren. Sie maturierte im letzten Jahr, begann im Herbst in Graz mit dem Studium der Umweltsystemwissenschaften und steigt diesen Herbst auf Geografie um.

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Verena Hofmeister

Verena Hofmeister will auch wegen dem See zurück nach Kärnten

Sie zog weg, weil sie einmal raus aus Kärnten wollte, weil alles so klein war und sie sich in Klagenfurt eingeengt fühlte. Weshalb sie später wieder zurück will? „Zum Aufwachsen war es in Kärnten schon schön. Klagenfurt ist einfach überschaubarer, auch wenn man Kinder hat.“ Auch Elisa Leitner und Julia Struger wollen derzeit noch zurück nach Kärnten. Alle drei sind sich einig: Die Lebensqualität in Kärnten ist hoch. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass viele Kärntner ähnlich denken.

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Wieso die Kärntner wieder zurückwollen

Mehr als die Hälfte gibt aber auch genügend passende Jobs als Voraussetzung für eine Rückkehr an. Auch für Verena Hofmeister, Julia Struger und Elisa Leitner ist ein Job Voraussetzung für ihre Rückkehr. “Das passt gut mit unseren Ergebnissen zusammen: Im Sommer sind viele junge Menschen in Kärnten, weil sie es schön und lebenswert finden und viele wollen eben auch längerfristig zurück wegen der hohen Lebensqualität. Aber das Jobangebot ist ausschlaggebend”, sagt Aigner-Walder.

Arbeitskräfte dringend gesucht

Dabei würden Arbeitskräfte zurzeit dringend benötigt werden, meint die Volkswirtschaftlerin. Viele Unternehmen würden nach Arbeitskräften suchen. “Man muss sich vor Augen halten, dass der demographische Wandel, also die älter werdende Bevölkerung, mit sich bringt, dass vor allem in den nächsten Jahrzehnten Mitarbeiter gesucht werden. Viele Menschen aus der Babyboom-Generation werden bald in Pension gehen. Es ist zu erwarten, dass der Wettbewerb um Arbeitskräfte noch stärker wird. In den Arbeitsmarkt wird in Kärnten derzeit viel investiert", sagt Aigner-Walder.

Die finanziellen Probleme der öffentlichen Hand seien aber behindernd, mit mehr Geld könne man natürlich mehr Initiativen setzen, sagt Aigner Walder. Die finanzielle Lage Kärntens ist nach wie vor kritisch. Durch die Hypo-Pleite muss das Land Kärnten etwa jedes Jahr rund 40 Millionen Euro Rückzahlungen leisten, die dann im Landesbudget fehlen. Auch die alternde Bevölkerung lässt die finanziellen Mittel schwinden. Weniger junge Menschen bedeuten weniger Arbeitskräfte, weniger Unternehmen und somit eine geringe Wirtschaftsleistung.

Wörthersee Aussicht Pyramidenkogel

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Um junge Menschen anzuziehen braucht es mehr als nur hohe Lebensqualität

Zusammenarbeiten um Kärntner zurückzuholen

Wichtig wäre nach Aigner-Walder ein Gesamtpaket, um Kärnten für junge Menschen interessant zu machen. Familie und Beruf müssten heutzutage gut miteinander vereinbar sein. Aigner-Walder schlägt vor, eine Plattform zu schaffen, die ganz Kärnten umfasst und den Menschen Zugang zu den verschiedensten Dingen schafft. „Auch die Unternehmen müssten in dieser Zusammenarbeit dabei sein. Ein Job allein reicht nicht. Der Lebenspartner braucht auch einen Job, die Kinder müssen untergebracht werden, eine Wohnung muss her. Das sind neue Strukturen, die man sich vielleicht auch von anderen Ländern abschauen kann“, sagt Aigner-Walder.

Firmen könnten mehr Unterstützung leisten

In den USA sei es zum Beispiel oft so, dass Unternehmen versuchen, auch gleich für den Partner einen Job zu finden. Man sehe, dass neue Denkweisen notwendig seien, um qualifizierte Mitarbeiter zu bekommen, sagt Aigner-Walder. Als positives Beispiel nennt sie die Initiative Kärnten. Der Verein hat es sich zum Ziel gemacht hat daheimgebliebene und abgewanderte Kärntner zu vernetzen. Ein Projekt ist etwa „Go Carinthia“, eine Plattform, die für alle Kärnten-Interessierten Jobs, Praktika, Veranstaltungen und einen Newsletter-Service anbietet. Solche Projekte zu betreiben sei aber nicht einfach: „Viele, verschiedene Player müssen zusammenkommen und dann auch noch zusammenarbeiten. Das kann manchmal sehr schwierig sein“, sagt Aigner-Walder.

Zersiedelte Strukturen

Ländliche Regionen wie Kärnten liegen zudem im ständigen Wettbewerb mit städtischen Gebieten. In Städten gibt es ein größeres Angebot an Arbeitsplätzen und eine bessere Infrastruktur. In Sachen Infrastruktur gibt es in Kärnten einiges zu tun, sagt Aigner-Walder. „Die Ausbildungsorte sind hier ein gutes Beispiel. Schulschließungen werden immer äußerst negativ dargestellt, aber wenn man strategisch schließen würde und die Schulstandorte so platziert, dass sie erreichbar sind, dann bräuchte vielleicht nicht jede Gemeinde eine eigene Schule. Dafür gäbe es dann größere Standorte, mit mehr Angeboten. Ganz egal ob es Freizeitmöglichkeiten, sprachliche Möglichkeiten oder Ganztagesbetreuung sind“, erklärt Aigner-Walder.

Auch bei den Hochschulen ist die Zusammenlegung ein Thema. In Kärnten gab es schon einige Ideen dazu, alle Fachhochschulen, die pädagogische Hochschule und die Universität Klagenfurt, an einen Ort zu bringen. Die Fachhochschule Kärnten hat mittlerweile fünf Standorte, zwei davon in Klagenfurt. Auch die Befragten der Studie würden sich einen größeren Hochschul-Campus wünschen. „Durch die getrennten Standorte entsteht ein anderes Feeling. Wenn man Kärnten als Gesamtes betrachtet, dann wäre ein gemeinsamer Standort eine tolle Lösung. Kärnten wäre nach außen hin attraktiv. Aber aus Sicht der Städte und Gemeinden ist es schwierig“, sagt Aigner-Walder.

Für die Gemeinden zählt jeder Bürger

Ein Grundproblem sei das Finanzausgleichsgesetz. Die Menschen zahlen Steuern, wie etwa die Mehrwertsteuer, diese gehen an den Bund und der teilt das Geld wieder auf die einzelnen Gemeinden auf. Dabei gilt: Je mehr Einwohner in einer Gemeinde, umso mehr Geld steht der Gemeinde zu. Jeder Bürgermeister habe demnach Interesse an einem Bevölkerungszuwachs und würde ungern auf Einwohner verzichten, sagt Aigner-Walder. „Die Frage ist: Was will man? Will man die ländlichen Gemeinden beleben? Dann ist es sicher richtig alles weiter auseinander zu platzieren. Aber wenn man den Standortwettbewerb anders sieht und sich als ganzes Bundesland etablieren will, dann wird es ohne Zusammenarbeit nicht gehen. Das ist die Schwierigkeit.“

Politische Entscheidung

Es gehe nicht darum, die Gemeinden zu schädigen, im Gegenteil. Oft profitieren die Gemeinden rund um städtische Zentren und erleben einen Aufschwung etwa durch Menschen, die nahe der Stadt, aber nicht in der Stadt wohnen wollen. "Es ist begrenzt Geld verfügbar, das die öffentliche Hand verteilen kann. Das Gießkannenprinzip anzuwenden, also zu versuchen das Geld gleichmäßig auf jede noch so kleine Gemeinde zu verteilen, ist aus wirtschaftlicher Sicht falsch. Größere Effekte können erzielt werden, wenn man die Stärken des Landes fördert, das Geld bündelt und in Zentren aber auch in kleinere Regionen mit wirtschaftlichem Potenzial steckt. Dort können dann mehr Möglichkeiten geschaffen werden und die gesamte Region profitiert”, sagt Aigner-Walder. Längerfristig gesehen müsse man über den Tellerrand blicken, global denken und Kärnten als gesamten Standort sehen.

Anna Stockhammer, kaernten.ORF.at