Wanderung durch das Val D’Arzino

In Tolmezzo ist derzeit eine Ausstellung zum Thema „Die Anarchie des Gehens“ zu sehen. Der Kärntner Gerhard Leeb arbeitet darin - unter verschiedenen Blickwinkeln - eine Wanderung auf, die er im Vorjahr unternahm. Sie führte ihn von Tolmezzo über das Val D’Arzino bis nach San Daniele.

Gerhard Leeb zieht es regelmäßig in die Nachbarregionen, um Neues zu erkunden. Das Gehen und Er-Wandern ist dabei willkommenes Mittel zum Zweck. Voriges Jahr machte er es sich zum Ziel, von Tolmezzo aus nach San Daniele zu wandern. Insgesamt 60 Kilometer betrug sein Soll. Nicht möglichst schnell alles hinter sich bringen, sondern die Menschen und ihre Lebensumstände näher kennenzulernen, lautete für ihn die Devise.

SSC Lago di Verzegnis

ORF/Iris Hofmeister

Der Lago di Verzegnis

Auf Erkundungstour ohne Zivilisationsballast

Raus aus der Komfortzone, rein in ein Erlebnis mit sich selbst im Einklang mit der Natur, ganz nach dem eigenen Tempo: „Es ist egal, ob nur einen halben Tag oder einen ganzen Tag. Es ist nur wichtig, dass man sich von diesem ganzen aktuellen Zivilisationsballast befreit. Da gehört kein Blutdruck- und Pulsmesser dazu, da gehört auch kein Handy dazu. Ich glaube das ist eine ganz wesentliche Geschichte, weil der Körper und der Geist beansprucht wird. Irgendwann einmal nach ein paar Stunden dieses Flanierens oder Bummelns wird der Kopf frei und dann kannst du wieder in ganz andere Zukünfte schauen als vorher.“

Einzige Vorgabe sei für ihn gewesen, dass er sich nur drei Tage für die gesamte Wanderung Zeit nehme. An die 25 Kilometer pro Tag legte er dennoch zurück. „Der Pass ‚Sella Chianzotan‘ war der höchste Punkt der ganzen Route. Bis ganz oben ist es körperlich anstrengend, aber auch der Geist wird frei. Ich hatte wieder wunderbare Ideen, die ich in den nächsten zwei Jahren realisieren werde. So bin ich einfach in die Landschaft ‚hineingetrödelt‘.“

Ziel: Auf Zufallsbekanntschaften einlassen

Auch Treffen mit Menschen aus der Region organisierte Leeb bewusst nicht im Vorhinein. Er wollte sich auf Zufallsbekanntschaften einlassen: „Egal, wer einmal auf dich zukommt - es ist ein Mensch. Ob er ein guter oder schlechter Mensch ist entscheidet nicht seine Kleidung, seine Frisur oder sonst etwas - du musst stark sein, du gehst auf ihn zu, und ich habe festgestellt, in 99,9 Prozent sind die alle angetan, dass du dich für ihre Landschaft und ihre Heimat interessierst. Ich habe noch nie bei diesen Fuß-Wanderungen und Spaziergängen irgendetwas Unangenehmes erlebt.“

Sendungshinweis:

„Servus, Srečno, Ciao“, 30.3.19

Der Einzige, den er bewusst treffen wollte, sei „Cocco“ in Pozzis gewesen. Er habe von seiner Geschichte gehört und wollte sich mit ihm austauschen, sagt Leeb: "Aber er hatte sich gerade mit seinen 73 Jahren auf den Weg nach Usbekistan gemacht. Er war - wo ich in Pozzis durchmarschiert bin - gerade mit seiner Beiwagenmaschine hundert Kilometer vor Samarkand. Diesmal hatte er Glück und endlich kam es zu dem erhofften Zusammentreffen mit dem Weltenbummler - mehr dazu in 73-Jähriger plant Motorradreise nach Usbekistan (kaernten.ORF.at, 19.6.18)

SSC Wanderung Val D'Arzino Gerhard Leeb Cocco

ORF/Iris Hofmeister

Gerhard Leeb und „Cocco“ in Pozzis

Brüderpaar betreibt Hotel, Restaurant und Geschäft

Leeb erinnert sich auch an eine nette Zufallsbekanntschaft mit einem Mann, der gerade seinen Zaun strich: „Ich bin stehen geblieben. Er hat dann festgestellt, dass er als Kind in der Volksschule noch Deutsch gelernt hat.“

Die erste Tagesetappe führte ihn von Tolmezzo über die Brücke des Lago di Verzegnis bis nach San Francesco im Val D’Arzino. „Das war wirklich eine tolle Geschichte, weil das ist ein relativ junger Mann, der eine Bar, ein Albergo, ein Alimentari und ein Restaurant betreibt. Das ist ein gutes Beispiel für das Überleben in den Alpen. Der hat natürlich sofort ein Bett für mich gehabt und es war fantastisch“, so der Wanderer aus Kärnten.

Er bezieht sich auf Davide Tosoni. Seit den 1950er Jahren ist diese Gastwirtschaft in San Francesco, im oberen Arzino-Tal, im Besitz der Familie Tosoni. Der 42-jährige Davide und sein 36-jähriger Bruder Isacco führen den Betrieb in dritter Generation weiter. Sie wurden mittlerweile zur einzigen Anlaufstelle, wenn es um das leibliche Wohl der verbliebenen 60 Einwohner des Ortes, aber auch Besucher von auswärts.

Brüderpaar betreibt Hotel, Restaurant und Geschäft

Sie wählten bewusst diesen Schritt, weil sie sich den Bewohnern des Tales gegenüber „verpflichtet“ fühlen - andernfalls würde das Val D’Arzino zu einem reinen Durchzugsort verkommen, befürchten die Brüder. Sie möchten mit ihren lokalen Spezialitäten, wie dem Frico, und ihrer Gastfreundschaft aber zum Verweilen einladen. Freilich wäre auch für sie ein Job in einer Fabrik in einer der umliegenden Städte vielleicht „einfacher“ und auch lohnender - aber sie möchten ihrer Heimat so lange es geht nicht den Rücken kehren, wie es viele andere gemacht haben.

Tosoni: „Unsere Eltern und Großeltern haben uns gezeigt, wie es ist, mit den Schwierigkeiten hier in den Bergen klarzukommen und trotzdem an einem Ort zu bleiben, der vielleicht nicht so viele Annehmlichkeiten bietet, aber wo alle jene Menschen sind, die einem am Herzen liegen. Es wäre doch zu leicht, einfach zu gehen. Viele haben das ja gemacht, andere nicht und so versuchen auch wir, so lange es geht hier im oberen Arzino-Tal zu überleben.“

SSC Wanderung Val D'Arzino Spezialitäten Essen Frico

ORF/Iris Hofmeister

Spezialitäten von Davide und Isacco Tosoni

In der Villa Margherita in Anduins kehrte Gerhard Leeb vor der letzten Etappe nach San Daniele ein. Ein „kleines Paradies“ aus der Jahrhundertwende, wie er sagt. Bei Schönwetter eröffne sich einem ein Blick über die gesamte friulanische Tiefebene. Die Villa verfügt über eine alte Bibliothek und einen Garten, der zum Verweilen und Energietanken einlädt.

Bilder angereichert mit philosophischen Zitaten

Einblick in seine Erfahrungen gibt Gerhard Leeb in seiner Ausstellung in Tolmezzo. Zu sehen sind Fotografien, Skizzen, Notizen und Zitate von Philosophen wie Nitzsche oder Beauvoir zum Thema „Gehen“. „Für uns ist es immer schön, wenn jemand von außen auch uns einen anderen Blickwinkel auf unsere Heimat ermöglicht. Menschen so wie Gerhard, der in den Bergen quasi zu Hause ist, machen uns den wahren Wert der Alpen deutlich und so wissen wir mehr zu schätzen, was wir vor der Haustüre haben“, sagt Marco Craighero, der Kulturreferent von Tolmezzo.

Öffnungszeiten

Die Ausstellung „L’anarchia dell Caminare - tre giorni in Val d’Arzino“ ist noch bis 21. April im Palazzo Frisacco zu sehen. Die Ausstellung ist täglich außer dienstags von 10.30-12.30 Uhr und von 15.00 bis 17.00 Uhr; sowie sonntags von 14.00-18.00 Uhr geöffnet. Freitags und Samstags ist Gerhard Leeb immer selbst vor Ort und steht interessierten gerne für einen Erfahrungsaustausch zur Verfügung.

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