Greenpeace: Zweiter HCB-Bescheid gefunden

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace erhebt neue Vorwürfe gegen das Land Kärnten in der Causa Hexachlorbenzol (HCB). Es gebe einen zweiten Bescheid zur Verbrennung von Blaukalk. Demnach habe das Land eine größere Mitverantwortung als bisher angenommen. Das Land sieht das anders.

Greenpeace teilte am Mittwoch in einer Aussendung mit, dass es einen zweiten, bisher nicht veröffentlichten Blaukalk-Bescheid des Landes Kärnten vom Dezember 2010 sowie eine vom Land Kärnten im Jahr 2004 beauftragte Machbarkeitsstudie über die Blaukalkverwertung in der Zementindustrie geben solle. Beide Dokumente belasten das Land Kärnten hinsichtlich einer möglichen größeren Mitverantwortung für den HCB-Skandal. Zudem geht aus dem Bescheid hervor, dass auch das Umweltministerium in Wien seit mindestens vier Jahren über die Art der Giftkalkverwertung informiert war.

Zweiter Bescheid noch detaillierter

Greenpeace-Recherchen hätten ergeben, dass es außer dem bisher bekannten und veröffentlichten Bescheid vom 15. Dezember 2010 auch einen weiteren - bisher unbekannten - Bescheid vom 20. Dezember 2010 gibt. Beide Bescheide wurden von der Abteilung 7 der Kärntner Landesregierung erstellt. Der zweite „Erlaubnisbescheid“ beschreibt den Blaukalkeinsatz detaillierter als der erste, konkret sollten die Kalkschlämme „bei Anlieferung in die genehmigte Tinkalbox B 3 aufgegeben und von dort über das bestehende Dosiersystem (...) eingebracht werden“.

„Genau das könnte das Zementwerk in unserem Verständnis auch gemacht haben. Denn dieser Weg führt durch eine 400 Grad warme Zone, in der HCB verdampft und über den Schornstein entwichen ist, bevor es mit dem Blaukalk in die heiße Zone gelangen konnte“, erklärte Greenpeace-Chemiker Herwig Schuster. „Damit wackelt die bisherige Argumentation des Landes Kärnten, dass das Zementwerk das Material eindeutig rechtswidrig eingebracht habe“, interpretierte Schuster.

Machbarkeitsstudie empfiehlt HCB-Messungen

Das zweite bisher unveröffentlichte Dokument ist laut Greenpeace eine Machbarkeitsstudie, die das Land Kärnten im Jahre 2004 bei Professor Wurst von der FTU Ges.m.b.H. beauftragt hat und die von diesem zwei Jahre später geliefert wurde. Diese bestätige die Verwertungsmöglichkeit des Giftkalks im Zementwerk, empfiehlt aber ausdrücklich HCB-Abgasmessungen. Trotzdem habe das Land Kärnten diese Messungen in keinem der Genehmigungsbescheide vorgeschrieben. „Die rechtliche Mitverantwortung beim Land Kärnten für den HCB-Skandal könnte damit größer geworden sein als bisher angenommen“, sagte Schuster. Pikanterweise hat dann Professor Wurst alle Abgasmessungen während der Blaukalkverwertung beim Zementwerk durchgeführt. Eine HCB-Messung hat er entgegen seiner eigenen Empfehlung nie gemacht.

„Umweltministerium hätte Berufung einlegen können“

Der Erlaubnisbescheid wurde auch an das Umweltministerium in Wien geschickt. Dieses hätte dagegen Berufung einlegen können. „Im Rahmen der rechtlichen und politischen Aufarbeitung des HCB-Skandals muss nun auch die Rolle des Umweltministeriums geklärt worden“, schlägt Schuster vor. Unabhängig von der späteren - gerichtlichen - Klärung der rechtlichen Verantwortung und Mitverantwortung ist für Greenpeace jedoch klar, dass der fatale Fehler vom Zementwerk gemacht worden ist. Daran dürfe auch nicht gerüttelt werden.

Albert Kreiner, der Krisenkoordinator des Landes, sagte, das stimme so nicht. Maßgeblich sei, dass man den Blaukalk herausnehmen und dann bei der entsprechenden Temperatur von 1.100 Grad verbrennen hätte sollen.

Landesamtsdirektion weist Behauptung zurück

In einer Aussendung des Amtes der Kärntner Landesregierung am Mittwochnachmittag wurde die Behauptung von Greenpeace, der Blaukalk hätte auch bei niedrigeren Temperaturen verbrannt werden dürfen, zurückgewiesen. Landesamtsdirektor Dieter Platzer erklärte dazu, dass im anlagenrechtlichen Bescheid vom 15. Dezember 2010 genau festgelegt sei, dass der belastete Blaukalk „zwischen Drehrohrofen und Wärmetauscher (Einlaufkammer DO III)“ einzubringen sei. Damit sei nach Rechtsansicht der zuständigen Fachbeamten eine andere Einbringungsstelle klar verboten, was auch für die Temperatur gelte.

Kurt Hellig von der Umweltkontrolle des Landes: „Das ist sogar redundant, also zweifach vorgeschrieben: Die Stelle, wo der Blaukalk ausschließlich einzubringen ist, wurde konstruktiv festgelegt und durch das Temperaturfenster. Wenn ich diese Ausführungen als Techniker lese, wird ganz klar festgestellt, dass die Aufgabe über die genehmigte Tinkalbox und das Dossiersystem erfolgt, und der Blaukalk an der Einlaufkammer des Drehrohrofens bei einem Temperaturfenster von 850 bis 1.100 Grad Celsius einzubringen ist.“

Dass Greenpeace genau diesen entscheidungsrelevanten Sachverhalt in seiner Aussendung am Mittwoch nicht angeführt habe, sei bedauerlich, sagte Platzer. Das Vorhandensein zweier inhaltlich zusammengehörender Bescheide sei im Übrigen nicht außergewöhnlich, sondern für derartige Genehmigungen in ganz Österreich erforderlich. So müsse auf Basis einer zunächst auszustellenden anlagenrechtlichen Bewilligung auch eine abfallrechtliche Genehmigung zur Abfallbehandlung erteilt werden.

FPÖ: Peinlich für Koalition

FPÖ-Landesparteiobmann Christian Ragger reagierte auf die Kritik von Greenpeace mit dem Hinweis, es sei „peinlich für die rot-grün-schwarze Kärntner Koalition, dass Greenpeace wieder Unterlagen zum HCB-Skandal präsentieren kann, die offenbar vertuscht werden sollten“. Ragger erinnerte daran, dass LH Peter Kaiser (SPÖ) und Umweltreferent LR Rolf Holub (Grüne) volle Transparenz versprochen und auch zugesagt hatten, dass alle Bescheide, Gutachten und Messergebnisse im Internet veröffentlicht werden.

Ragger sagte, er fühle sich auch als Regierungsmitglied hinters Licht geführt, "weil auch in allen Berichten an die Regierung diese Details verschwiegen worden sind. Dabei sei immer klar die alleinige Verantwortung der Zementfabrik am zu niedrigen Verbrennungsgrad des HCB-verseuchten Blaukalks eindeutig hervorgestrichen worden. Die neuen Unterlagen seien jedenfalls brisant, weil sie die Versäumnisse des Landes tatsächlich größer erscheinen lassen, als schon bisher bekannt sei, sagte Ragger. Der bisher vertuschte Erlaubnisbescheid sei von der damaligen Referentin für Umwelt und Abfallentsorgung, LH-Stv. Beate Prettner (SPÖ), zu verantworten.

Team Kärnten: Massiver Erklärungsbedarf

Landesrat Gerhard Köfer und LAbg. Hartmut Prasch, beide vom Team Kärnten, sprachen in einer Aussendung am Mittwochnachmittag davon, dass viele Kärntner schon länger den Eindruck hätten, „dass man von der rot-schwarz-grünen Dreierkoalition in Bezug auf den HCB-Skandal schlichtweg angelogen wird“. Köfer und Prasch fordern ein Ende „der schamlosen Vertuschung“.

Der Erklärungsbedarf für die verantwortlichen Regierungsmitglieder und leitenden Beamten sei massiv gestiegen. „Es stellt sich auch die Frage, ob und warum bewusst falsch informiert wurde. Denn wie es scheint, sind Schuld und Verantwortung der zuständigen Politiker und der Stellen im Land Kärnten viel größer als bisher angenommen.“

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