Leben mit einer Zwangsstörung

Dauerndes Händewaschen, Putzen, Bilder gerade rücken und das unter Zwang, weil man nicht anders kann. Dies ist für die Radentheinerin Berta Lackner seit 18 Jahren Realität. Viele Jahre versteckte sie ihre Zwangsstörung, nun gründete sie eine anonyme Selbsthilfegruppe.

Wenn Berta Lackner vom Einkaufen zurückkommt, wäscht sie jedes Glas, jede Verpackung von Hand ab. Es ist für sie unerträglich: „Vor ca. 18 Jahren hat es nach einem Urlaub angefangen. Ich bin heimgekommen und habe alle Toilettsachen und alle Utensilien abwaschen müssen. Es hat mich plötzlich so geekelt und gegraust vor den Sachen, die ich mitgehabt habe.“

„Wie ein Haufen giftiger Schlangen“

Schon der Gedanke an Staub, Schmutz oder Schleimiges löst in ihrem Gehirn eine Lawine aus, schildert Lackner: „Den Schmerz muss man sich so vorstellen, als ob da ein Haufen giftige Schlangen liegen und jemand sagt einem, man muss sich in den Haufen hineinsetzen und das aushalten.“ Um den Schmerz ein bisschen zu milden, um sich ein paar Sekunden besser zu fühlen, wäscht sie alles ab.

Berta Lackner Zwangsstörung

ORF

Berta Lackner will sich nicht mehr verstecken.

„Hirn rotiert wie ein Computer“

Berta Lackner hat viele Therapien hinter sich, es gibt bessere und schlechtere Zeiten, doch der Zwang verschwindet nie ganz. Die quälenden Gedanken kommen nicht zur Ruhe, auch nicht in der Nacht. Wenn sie ins Bett gehe, rotiere das Hirn weiter wie ein Computer, der nicht abgeschaltet werden kann.

Bevor sie aus dem Haus geht, übernimmt der Kontrollzwang. Alle Stecker werden aus den Steckdosen gezogen, der Herd x-mal kontrollierte, ob er ausgeschaltet ist. Sie empfinde wie beim Waschen ein extremes Schuldgefühl, dass sie etwas vergisst auszustecken, schildert Lackner ihre Gefühle.

Vortrag im LKH:

Am 28. März findet im LKH Villach um 19.00 Uhr ein Vortrag über Zwangserkrankungen statt.

Sendungshinweis:

Kärnten heute, 26. Februar 2014

Jahrelanges Verstellen kostete Kraft

Sie kämpft dagegen an. Ein Spaziergang in Radenthein war für sie jahrelang nicht möglich. Jetzt stellte ihr die Gemeinde einen Raum für eine anonyme Selbsthilfegruppe zur Verfügung. Die 36-Jährige geht immer öfter in die Stadt, mittlerweile schafft sie es sogar, Freuninnen in einem Café zu treffen. Für sie ist das eine gewaltige Herausforderung.

Sie habe sich jahrelang verstellt, damit sie überhaupt aus dem Haus gehen konnte, damit keiner merkt, was mit ihr los ist. Das habe aber sehr viel Kraft gekostet, immer etwas vorspielen zu müssen. nun will sie sich nicht mehr verstecken.

Nach Besuch wird geputzt

Auch die Dreharbeiten des ORF hinterließen für Berta Lackner Spuren in ihrer Wohnung, obwohl alle ihre Schuhe auszogen. Sie wischt alle Flächen ab, putzt hinter dem Team her. Sie entschuldigt sich dafür, aber sie kann nicht anders. Die Bilder von Schmutz, Bakterien und Keimen in ihrem Kopf würden sie so stark belasten, dass sie ihr Schmerzen bereiten.

Expertin über die Erkrankung

Christa Rados leitet die Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin im LKH Villach. Sie sagte im Interview mit Kärnten Heute, dass häufig neurobiologische Gründe für solche Zwangsstörungen vorliegen. „Das heißt, es handelt sich um eine grundlegende Störung im Hirnstoffwechsel. dabei sind bestimmte Gleichgewichte und Regelkreise von Botenstoffen gestört. Dadurch wird eine bestimmte Neigung zu Zwangserkrankungen bedingt. Man weiß auch, dass das oft familiär gehäuft auftritt. Psychologische Faktoren dürften weniger Rolle spielen als bisher gedacht. Eine Rolle spielen aber sehr wohl Stressfaktoren.“

Leben mit Zwangsstörung

ORF

Christa Rados vom LKH Villach beim Interview im Kärnten Heute Studio mit Moderator Hannes Orasche.

Zwangserkrankungen können sehr gut behandelt werden, sagte Rados. Vor allem leichtere Formen sprechen sehr, sehr gut auf Therapie an, schwerere Formen könnten zumindest gemildert werden: „Hier sind Psychopharmaka zu nennen, die den Serotoninstoffwechsel unterstützen. Das sollte mit Psychotherapie kombiniert werden und zwar mit einer Verhaltenstherapie. Dabei lernt der Patient, seinen Zwängen standzuhalten.“

Tabuthema: Viele Fälle bleiben ohne Behandlung

Psychische Erkrankungen seien in unserer Gesellschaft generell noch immer tabuisiert und stünden in dem Ruf, nicht behandelbar zu sein, sagte Rados. Viele Erkrankte nehmen gar keine Therapie in Anspruch. „Niemand sollte sich scheuen, den Weg zum Facharzt zu gehen und sich beraten und aufklären zu lassen. Man kann oft sehr viel tun.“ Helfen lassen sollten sich Menschen, wenn sie durch zwanghaftes Verhalten im Alltag einen Leidensdruck verspüren.