„Aufgezeigt“: Kampf um Rollstuhl

2016 hat Gebhard Nösig einen Unfall mit einem Zug schwer verletzt überlebt. Seit damals braucht er rund um die Uhr Pflege und lebt im Heim der Diakonie in Waiern. Seine Familie kämpft für ihn um einen Rollstuhl, die Krankenkasse will ihn aber nicht bezahlen.

Der damals 66-Jährige war mit dem Auto unterwegs und überfuhr eine Zugkreuzung bei Rotlicht. Sein Wagen wurde vom Zug erfasst und hunderte Meter mitgeschleift. Er musste notoperiert werden. Dieser Unfall veränderte alles, sagt Renate Nösig, die Ehefrau des Unfallopfers: „Wir waren am Berg, waren Radfahren, im Winter war er viel Skifahren, er war immer auf Achse. Ob im Garten oder wenn er einem Freund geholfen hat, er hat immer was zu tun gehabt.“

Familie und Freunde des Feldkirchners wollen für ihn unbedingt erreichen, dass er einen Rollstuhl bewilligt bekommt. Die Gebietskrankenkasse argumentierte ihr Nein damit, dass er 24-Stunden-Pflege benötigt und den Rollstuhl nicht selbst bedienen könnte.

Leichte Verbesserungen zu sehen

Heute kann Gebhard Nösig nicht sprechen und sich kaum bewegen. Aber er spricht mit den Augen. Sein Sohn Daniel und seine Frau spüren, dass es bergauf geht: „Es hat sich schon was getan, seit er im Heim ist. Schon mit dem Lachen, das hat sich hier verbessert. Deshalb geben wir die Hoffnung nicht auf, weil wir Fortschritte gesehen haben.“ Man sei nicht weiter als bis auf die Terrasse gekommen, weil das der Rollstuhl des Heims nicht zugelassen haben, sagt Renate Nösig, daher der Wunsch, mit ihm in den Park gehen zu können. „Da er immer so ein Naturmensch war, glaube ich schon, dass sich was verbessert.“ Er freue sich auch, wenn Besuch komme und sei traurig, wenn sie gehen müsse, so die Ehefrau.

Rollstuhl aufgezeigt Gebhard Nösig Zug Unfall

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ORF-Redakteurin Gudrun Maria Leb, Freund der Familie Martin Huber, Renate Nösig und Behindertenanwältin Isabella Scheiflinger

„Ans Bett gefesselt“

Aber diesen Rollstuhl zahlt die Gebietskrankenkasse bisher nicht. Martin Huber, Gebhard Nösigs bester Freund, versteht das überhaupt nicht: „Es ist ein unbefriedigender Zustand. Einfach zu sagen, der Antrag auf Förderung des Rollstuhls wird abgelehnt, ist für mich zu wenig. Eine Begründung hätte ich mir schon erwartet. Mein Freund hat nicht die Möglichkeit aus dem Zimmer rauszukommen, den Frühling zu genießen, eine Spaziergang zu machen. Er hat keine Chance etwas zu tun, weil er ans Bett gebunden ist.“

Rollstuhl aufgezeigt Gebhard Nösig Zug Unfall

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Gebhard Nösig hat einen Krankenhauskeim, deswegen muss sich seine Frau steril kleiden

„Oft kann mit neuen Befunden Zahlung erfolgen“

Doch das ist kein Einzelfall, so Behindertenanwältin Isabella Scheiflinger. Sie kennt viele Parallelfälle: „Es ist uns nicht fremd. Begründet wird es meistens damit, dass der Klient nicht mobil ist und der Rollstuhl damit als Pflegebehelf gesehen wird.“ Der Rollstuhl gilt vor allem bei Klienten mit hoher Pflegestufe nicht mehr als Heilbehelf oder Hilfsmittel. Deshalb zahlt die Krankenkasse nichts. Oft liegt das daran, dass schon bei der Rollstuhl-Verordnung Fehler passierten, sagt Scheiflinger: „Wir sehen immer wieder Fälle, wo mit dem Nachreichen von Facharztbriefen oder neurologischen Befunden eine Genehmigung erreicht werden kann. Denn dann kann der Rollstuhl als Heilbehelf und Hilfsmittel qualifiziert werden.“

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Isabella Scheiflinger kennt viele ähnliche Fälle

Dass der Rollstuhl mehr ist, als ein Pflegebehelf, ist für Scheiflinger überhaupt keine Frage. Gebhard Nösig könnte mit dem Rollstuhl mit seinem Freund in die Stadt fahren, es bedeute eine neue Umgebung, neue Reize. „Es bedeutet für einen Menschen mit so einem Schicksal mehr Lebensqualität. Das sind wichtige Punkte, die bei einer Behördenentscheidung unbedingt mitberücksichtigt werden sollten.“

Dreimalige Ablehnung der Kasse

Bereits dreimal versuchte Renate Nösig, von der Gebietskrankenkasse einen Rollstuhl für ihren Mann zu bekommen. GKK-Direktor Johann Lintner sagte dazu: „Es hat im vergangenen Jahr eine Vorortbegutachtung gegeben. Unser Mediziner hat dabei festgestellt, dass eine Besserung des Gesundheitszustandes nicht mehr zu erwarten ist. Wenn das festgestellt wird, bedeutet das, dass keine Krankenbehandlung vorliegt und damit ist die Leistungszuständigkeit der Kasse nicht gegeben.“

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GKK-Direktor Johann Lintner: Kassa zahlt für Heilbehelfe, nicht für Pflegebehelfe

Neue Untersuchung ergab Verbesserungen

Zwischenzeitlich habe es aber eine Reha-Maßnahme gegeben, aus diesem Befund gehe hervor, dass eine leichte Besserung eingetreten sei, so Lintner. „Herr Nösig nehme das Umfeld wahr, könne teilweise die Beine bewegen. Wir haben daher noch eine Begutachtung vorgenommen. Im Rahmen der medizinischen Rehabilitation können wir die Leistung übernehmen und den Rollstuhl zur Gänze bezahlen.“ Was bleibt, ist der bittere Beigeschmack. Dass viele pflegebedürftige Menschen keinen Rollstuhl auf Kassenkosten bekommen und dass ihnen damit viel Lebensfreude genommen wird.