Alltagsaufgaben sprachlich begleiten

Rund 20 Prozent aller Kleinkinder bis zum Alter von zwei Jahren weisen eine Sprachentwicklungsverzögerung auf. Förderlich ist es laut Experten schon, scheinbar banale Alltagstätigkeiten sprachlich zu benennen und sich intensiv mit dem Kind zu beschäftigen.

Sie kennen bestimmt die sogenannten „Spielplatzgespräche“ unter Eltern. Meist ist es ein Abgleich, ein Vergleich oder für einige wenige auch ein Wettrennen. Dabei scheint sich alles um die Frage zu drehen, was das eigene Kind schon kann, wo das andere noch Nachholbedarf hat.

An diesem stillen Konkurrenzkampf sollte man erst gar nicht teilnehmen und sich dadurch unnötig in Angst und Stresssituationen versetzten lassen, raten die Experten. Denn jedes Kind entwickle sich individuell und in seiner eigenen Geschwindigkeit. „Wir ermutigen die Mütter oft dazu, objektiv hinzusehen und festzustellen, was das eigene Kind wirklich kann und was nicht und ob es im Rahmen der Variationsbreite liegt oder nicht“, so Eveline Achatz, erste Oberärztin an der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Klinikum Klagenfurt.

Ärztin bei Untersuchung im Kindermedizinischen Zentrum Augarten

APA/Helmut Fohringer

Baby bei Mutter-Kind-Pass-Untersuchung

Von Spätsprechern und Spätblühern

Generell können Eltern ganz leicht überprüfen, ob ihr Kind zum Beispiel dem Alter entsprechend einen ausreichenden Wortschatz aufweist. Dazu soll man die Wörter, die das Kind bis zum zweiten Lebensjahr sprechen kann, zählen, rät Achatz: „Meilensteine sind 50-Wort-Äußerungen und -Kombinationen. Mit zwei Jahren sollten Kinder Zwei-Wort-Kombinationen sprechen, wie ‚Mama da‘, ‚Papa weg‘ oder ‚Ich Ball‘. Das ist im Alter von zwei Jahren sicher im grünen Bereich.“

Wenn Ihr Kind das nicht kann, sollten Sie einen Facharzt aufsuchen, rät die Expertin. Dieser kann abklären, ob sich die allgemeine Entwicklung des Kindes verzögert hat oder ob nur die Sprachentwicklung des Kindes verzögert ist: „Wenn das Kind keine anderen Störungen hat, spricht man von sogenannten ‚late talkern‘ (Spät-Sprecher). Wir wissen, dass manche Kinder zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr aufholen und dann mit drei Jahren gut sprechen. Diese Gruppe von Kindern nennt man dann ‚late bloomer‘, Spätblüher.“

Drittes Lebensjahr für das Sprechen entscheidend

Sollte die Sprachentwicklung bis zum dritten Lebensjahr nicht zufriedenstellend sein, spricht man definitiv von einer Sprachentwicklungsstörung, die durchaus ihre Ursachen hat. Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft ist dies genetisch bedingt, so Achatz: „Wenn man in der Familiengeschichte nachfragt, wie die Sprachentwicklung des Vaters und der Mutter war, erfährt man, dass sie auch bei ihnen meist verzögert war. Man vermutet eine polygenetische Entwicklung.“

Hörvermögen kann Sprachentwicklung beeinflussen

Neben der genetischen Veranlagung gibt es noch eine weitere, wesentliche Ursache, die zu einer Sprachentwicklungsverzögerung führen kann: „Kinder, die etwas schlechter hören, entwickeln sich deutlich langsamer. Deshalb ist immer eine der wichtigsten Einschätzungen, ob das Kind gut hört. Wenn es nur den kleinsten Zweifel gibt, muss interveniert werden bzw. muss eine entsprechende Behandlung gemacht werden, damit sich das Hörvermögen normalisiert.“

Sendungshinweis:

„Radio Kärnten Family“, 1.3.17

Wie erkennt man als Laie, ob das Kind schlecht hört? „Wenn Kinder sehr auf den Mund ihrer Eltern oder ihres Gegenüber schauen, kann das ein zusätzlicher Hinweis auf eine Hörstörung sein“, so die Logopädin am Klinikum, Eva Jaritz.

Aufmerksamkeitsprobleme oft durch Sprachstörung

Unbehandelt kann eine Sprachentwicklungsstörung schwerwiegende Folgen haben, so die Kinderpsychologin Eveline Achatz: „Diese Kinder laufen Gefahr, zusätzlich andere Störungen zu akquirieren. Sie haben mittlerweile ein Aufmerksamkeitsproblem und häufig auch Probleme im Sozialverhalten. Sie brauchen dann nicht nur logopädische Behandlung, sondern auch unter Umständen kinderpsychiatrische Betreuung bzw. eine Unterstützung für die Familie.“

Zwei Kleinkinder

APA/Herbert Neubauer

Fernseher ersetzt persönliche Beschäftigung nicht

Um das möglichst zu verhindern, empfiehlt die Logopädin den Eltern, sich mit den Kindern intensiv zu beschäftigen: „Wenn gemeinsame Zeit verbracht wird, sollen die Tätigkeiten sprachlich begleitet werden, zum Beispiel in dem man beim Einkaufen alles benennt und die ganze Aufmerksamkeit den Kindern schenken. So lernt das Kind am allermeisten, wenn es mehr Input und bewusst Zeit bekommt.“

Das Kind einfach vor den Fernseher zu setzen sei nicht förderlich, so Achatz: „Der Fernseher ist sicher das falsche Instrument, um die Sprache des Kindes zu fördern. Es gibt eine Studie, die zeigt, dass Kinder, die einen eigenen Fernseher in ihrem Zimmer haben, auch in den schulischen Leistungen nachlassen und um mindestens eine Note schlechter sind. Ich empfinde den Fernseher und alle anderen digitalen Medien als durchaus problematisch.“