Neues Buch: NS-Opfer im Gailtal

70 Jahre herrschte eisernes Schweigen über die Opfer des Nazi-Terrors im Kärntner Gailtal. Dieses Tabu wurde durch die Arbeit des Vereins Erinnern Gailtal gebrochen. Ein neues Buch gibt nun den Opfern wieder Namen.

200 Biographien von NS-Opfern, unter ihnen Kärntner Slowenen, Juden, Homosexuelle, Geistliche, politisch Verfolgte, Widerstandskämpfer und Euthanasie-Opfer, konnte das Team um den jungen Politikwissenschaftler Bernhard Gitschtaler in dreijähriger Forschungsarbeit rekonstruieren.

Ausgelöschte Namen Gailtal Buch

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Bernhard Gitschtaler, „Ausgelöschte Namen“, Otto Müller Verlag, 383 Seiten gebunden, 27 Euro (E-Book: 21,99 Euro)

Einige der Autoren schreiben über NS-Opfer in der eigenen Familie und schreiben über den familiären Umgang mit der Geschichte der Ermordeten. Man stellt sich als Lesender die Frage, wie es sein kann, dass eine Region konsequent seine ermordeten Söhne und Töchter, Väter und Mütter, Großeltern und Enkelkinder, Nachbarn und Verwandte verdrängen und vergessen konnte.

„Gedenktafel in Buchform“

Zwei der Autoren, Bernhard Gitschtaler und Wolfgang Haider, waren am Donnerstag zu Gast in Radio Kärnten. Gitschtaler sagte, es sei bereits das zweite Buch des Vereins „Erinnern Gailtal“ - mehr dazu in Buch: „Das Gailtal unterm Hakenkreuz“.

Der Verein habe es sich zur Aufgabe gemacht, möglichst viele Opfer der NS-Zeit, die 70 Jahre lang verdrängt und vergessen worden seien, ausfindig zu machen: „Dieses Buch hat die Geschichten von 200 Opfern zum Inhalt. Es ist eine Gedenktafel in Buchform. Lange gab es die Diskussion, ob es überhaupt im Gailtal Opfer der NS-Zeit gab.“ Leider könne man nicht alle finden, aber zumindest diese 200 Biographien habe man gesammelt.

Ausgelöschte Namen Gailtal Buch

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Die Kärntner Slowenin Aloizija Grafenauer (links vorne) wurde zusammen mit einer Tochter, deren Ehemann und Zwillingsbruder deportiert. Als sie im Lager erkrankte, wurde sie von einem Arzt mit einer Spritze getötet.

Haider sagte, man habe viel Zeit in Archiven in Österreich und Deutschland verbracht, war aber auch in Kontakt mit internationalen Archiven mit Akten über die NS-Zeit, ebenso wie Archive der Konzentrationslager. Auch Leute im Gailtal habe mit miteinbezogen, um die oft fast vergessenen Geschichten wieder zu beleben. Man wolle ein würdiges Gedenken ermöglichen.

Sendungshinweis:

Radio Kärnten Servus Srecno Ciao, 15. Oktober 2015

Junge kennen Familiengeschichte nicht

Man könne so ein Buch nicht alleine schreiben, daher habe man andere mit einbezogen, darunter viele junge Leute, so Gitschtaler. Einige erfuhren erst durch die Recherchen, dass es in der eigenen Familie Opfer gab. Sie seien Vorbild für andere, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Das erste Buch des Vereins mit allgemeinen Informationen haben den Weg geebnet zu diesem zweiten, sehr viel persönlicheren, Buch, so Gitschtaler.

Wolfgang Haider wollte vor allem auch an die Opfer der „Euthanasie“ erinnern. Das sei sein persönliches Themengebiet gewesen, denn gerade in diesem Bereich habe die Aufarbeitung sehr spät begonnen. Zwei Jahre lang habe er recherchiert und konnte so fast 60 Biographien beisteuern, so Haider. Die Geschichte des Vergessens sei nicht auf das Gailtal beschränkt, das sei in vielen vor allem ländlichen Gebieten so gewesen. Die Geschichte des Gailtals sei also auch eine Geschichte Österreichs.

Ausgelöschte Namen Gailtal Buch

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Der Theologe und Pfarrer Otto Schuster, Provisor der Pfarre Vorderberg, leistete innerhalb der katholischen Kirche Widerstand und kritisierte das Regime in Messen und bei Kirchenfeiern. Er wurde 1942 in der Tötungsanstalt Hartheim ermordet.

"Angst und Scham

Gitschtaler sagte über das Schweigen, es seien Scham und Angst gewesen, Fragen zu stellen. Bei den Euthanasieopfern oder politisch Verfolgten würden sich die Nachfahren schämen. Sie trauen sich nicht, das Thema anzusprechen. Gerade in Kärnten sei das Klima nach 1945 nicht opferfreundlich gewesen. Verdrängung sei ein großes Thema. 70 Jahre danach könne man erst langsam darüber sprechen. Seit zwei Wochen ist das Buch auf dem Markt, die Reaktionen seien durchaus positiv, so die Autoren. Auch Angehörige meldeten sich, die gar nicht wussten, dass ihre Verwandten Opfer waren.