Neue Gstättner-Groteske: „Das Freudenhaus“
Nach seinem letzten Roman „Am Fuße des Wörthersees – Neue Nachrichten aus der Provinz“ 2014 ist nun Egyd Gstättners neuer Roman „Das Freudenhaus“ erschienen. Satirisch dargestellt, präsentiert der Kärntner Autor darin nur unschwer wiedererkennbare Protagonisten, die von ihren Zuständen und Befindlichkeiten erzählen. Auch die „ganz einfache“ Entstehungsgeschichte bzw. „Biografie“ eines Großbaus, eingebettet in die Wirrnisse der Zeit, spielt eine große Rolle.
ORF
Das Stadion als „Hauptfigur“
Gstättner sagte dazu: „Das Freudenhaus ist, glaub ich, der erste Roman der Literaturgeschichte, der ein Stadion, eine Arena als Titelhelden und als Hauptfigur hat... Es ist eine vielschichtige Geschichte über Provinz, Größenwahn, Einsamkeit, Geltungsbedürfnis und das Leben als solches und in weiterer Folge auch eine Hommage an einen Großen der französischen Literaturgeschichte, Eugene Ionesco, dem die Geschichte sozusagen gewidmet und auch auf dem Leib geschrieben ist.“
Von der Lokalpolitik bis zum Fußballtempel
Gstättners Alter Ego „Egyd Fraundorfer“ recherchiert - und zwar von den Niederungen der Lokalpolitik bis in die Höhen eines Fußballtempels hinauf. Fußball spielt in dem Roman aber nur eine untergeordnete Rolle, es sei, so Gstättner, nur ein Requisit, das für Fußballfans einen zusätzlichen Nutzen bringen soll. Um den Roman lesen zu können, sei es aber nicht notwendig, ein Fußballexperte zu sein: Es handle sich um ernsthafte-, nicht um Unterhaltungsliteratur.
Die Recherche zum Roman: Ein langer Prozess
„Das Freudenhaus“ liefert ein Abbild des Zeitgeschehens rund um den Neubau des Fußballstadions. Die Berichterstattung darüber hat Egyd Gstättner im Lauf der Jahre sorgsam zusammengetragen, um sie jetzt miteinfließen zu lassen. Damit gibt der Autor auch einen Einblick in seine Werkstatt. "Wenn ich einmal tot bin und jemand meinen Nachlass sichtet und ordnet, wird man sehen, dass man bei einem Roman sicher auf vier bis fünf dick, prallgefüllte Aktenordner kommt.“
Teilweise seien diese noch ungeordnet, teilweise schon „Text“, mehrmals überarbeitet. Schreiben sei ein langer Prozess, den Gstättner mit einer Schnapsbrennerei oder Whiskydestillerie vergleicht: „Das Kondensat ist ganz klein, aber was zuerst kommen muss und was man sich auch zusammen suchen muss, das ist riesengroß und vielschichtig.“ Der einzige Unterschied zu den anderen Romanen sei, dass in diesem die lange Recherche explizit erwähnt werde.
Die „große Silberschüssel“: Ein leeres Zentrum
Eine große Silberschüssel nennt Egyd Gstättner jenen Bau, aus dessen Bauch er den Zustand der Gesellschaft „herausdestilliert“: „Eines der großen Themen ist auch die Architektur, der öffentliche Bau. Man wird sehen, dass öffentliche Bauten von Kathedralen über Kulturhäuser, Galerien, Museen bis hin zu Arenen und Stadien reichen. Das sind Bauten, Bauwerke, in denen Menschen zusammen kommen.“
Sendungshinweis:
SSC, Radio Kärnten am 8. September 2015
Zusammenkommen sollten, möchte man mit dem Autor einwenden. Denn an solchen Gemeinschaftsbauten, und dem Leben darin, lasse sich der Zustand der Gesellschaft ablesen: „Wenn man sieht, wie leer Kathedralen, Kulturhäuser und Stadien sind, ist das auch ein Kennzeichen, wie ‚leer‘ die Gemeinschaft ist“, sagte Gstättner.
So wie jeder Mensch eine Geschichte habe, habe auch jedes Bauwerk eine: „Ich versuche ein bisschen Geschichte nachzuzeichnen, aber ich kann sie nicht bis zum Status Quo nachzeichnen.“ Die ‚Entstehungsbedingungen‘ und die „bisherige Nutzung“ lasse sich „bei einem Bauwerk ebenso wenig sagen, wie bei einem Menschenleben“.
Ionesco oder die Begegnung mit dem Absurden
Im Roman verknüpft sich die Geschichte des Bauwerks mit der Geschichte des Erzählers. In dessen Jugend ist er dem rumänisch-französische Autor Eugene Ionesco begegnet. Dessen Geist steht dem Erzähler in seinem absurden Theater zur Seite: „Ionesco war wahrhaftig in dieser kleinen Stadt, die ‚hinter sieben Bergen‘ heißt und hinter der meine Stadt zu erkennen ist. Er hat dramatische Erlebnisse, die er aufarbeiten muss.“ Laut Gstättner ein weiterer wesentlicher Teil des Romans, der sich nicht weiter vorantreiben ließe, ohne dass Ionesco zurück kommt und sich so lange mit der Figur des Autors Ionescos und dessen Werk beschäftigt, bis er im Roman leibhaftig aufersteht.
Stadien wie Kathedralen „Gotteshäuser“
Auferstehung sei zwar etwas religiöses, Fußball aber auch, sagt Gstättner, der zwischen Stadien und Kathedralen Ähnlichkeiten erkennen will. Letztlich seien beides „Gotteshäuser“, so Gstättner.
Dessen Roman ist vielseitig zu interpretieren: Als Fußball-, Architektur -oder Provinzroman, aber auch als religiöses Buch - laut dem Autor die wahrscheinlich wichtigsten Interpretationsmöglichkeit seines existentialistischen Werkes.