Verschleppt von den Sowjets

Für tausende Österreicher waren Kriegsende und Besatzungszeit der Anfang eines langen Leidensweges. Der Historiker Stefan Karner rollte in den 90er-Jahren einen Fall von Verschleppung durch die Sowjets auf: Den Fall Margarethe Ottillinger, die 1992 ORF-Redakteur Peter Matha ihr letztes Interview gab.

Die damals 29 Jahre alte Mitarbeiterin im Ministerium für Wirtschaftsplanung verschwand für sieben Jahre in sowjetischen Arbeitslagern. ORF-Kärnten-Redakteur Peter Matha gab sie kurz vor ihrem Tod ein Interview über ihren Lebenskampf, die Verschleppung und die Hintergründe.

Das Buch „Geheime Akten des KGB - Der Fall Ottillinger“ von Stefan Karner ist am Boltzmann-Istitut für Kriegsfolgenforschung in Graz zu bekommen.

Aus Dienstwagen entführt

Margarethe Ottillinger fuhr am 5 November 1948 mit Minister Peter Krauland in einem Wagen über die Enns. Die beiden kommen in den Russischen Sektor. Die junge Ökonomin war Leiterin der Planungssektion. In ihren Händen lag die Bewertung des so genannten Deutschen Industrieigentums. In den frühen Tagen des Kalten Krieges von den USA, wie auch von den Sowjets eine genau beobachtete Arbeit, so Ottillinger: „Das wurde von den Russen als Wirtschaftsspionage gewertet für die Amerikaner.“

Margarita Ottilinger

Boltzmanninstitut für Kriegsfolgenforschung/Stefan Karner

Völlig unerwartet öffnete ein Soldat bei der Ennsbrücke die Tür des Wagens und holte Margarete Ottillinger aus dem Auto. Der Minister protestierte kaum und fuhr weiter. Seine Mitarbeiterin verschwand an diesem Tag für fast sieben Jahre: „Ich habe geglaubt, das war ein Irrtum der Russen, sie haben es aber auf mich abgesehen gehabt.“

Monatelang verhört

Während ihre Angehörigen sie längst in der Sowjetunion vermuteten, war sie noch in Österreich. Täglich wurde sie verhört, fast zwei Monate lang in der Kommandantur in Baden. Zwischen den Verhören wurde sie schmutzig, hungrig und durstig in eine Erdnische im Keller der Kommandantur eingesperrt: „In diese Nische haben sie mich hineingestellt und haben sie zugemacht. Dann bin ich darin gesteckt und bin gehangen, weil ich nicht stehen habe können. Da bin ich ohnmächtig geworden, da haben sie mich rausfallen lassen und mit Wasser angeschüttet.“

Sendungshinweis:

Radio Kärnten Family; 8. Mai 2015

Fernurteil: 25 Jahre Arbeitslager

Sogar im Mai 1949 war Ottillinger noch in Österreich. Im Gefängnis von Neunkirchnen bekam sie das Fernurteil aus Moskau: 25 Jahre Straf-Arbeitslager. Die Todesstrafe hatte Stalin kurz zuvor aufgehoben: „Ich habe immer gelacht und gedacht, was die Leute von gebrochenen Herzen reden. Damals ist es gebrochen, ich war ein anderer Mensch", sagte Ottillinger unter Tränen. An diesem Sommertag seien die Menschen spazierengegangen, die Pfirsichbäume haben geblüht. Und ich bin da drin gesessen und habe gar nichts angestellt.“

Margarita Ottilinger

Boltzmanninstitut für Kriegsfolgenforschung/Stefan Karner

Unvorstellbare Zukunft

Im Viehwaggon kam sie im Juni 1949 in die UDSSR, mit einer Zukunft, die für sie bisher unvorstellbar war. Lemberg, Potma Wladimir und immer wieder Moskau waren ihre Stationen in der Sowjetunion, Gefängnisse und Lager. Sie lernte, dass das wichtigste für eine Gefangene eine Decke ist. Immer wieder wird Margareta, wie sie hier genannt wurde, schwer krank, trotzdem musste sie arbeiten: „Da bin ich aufgerüttelt worden. Ich war mit sechs Ukrainerinnen wie ein Pferd, eingespannt. Sieben Frauen waren ein Pferd.“

Auch in der Sowjetunion wurde sie regelmäßig verhört, wie in der Lubljanka, dem berüchtigten KGB Gefängnis. Es gab damals wieder das Todesurteil, aber sie habe sich nicht mehr so erschreckt darüber. Sie dachte, es sei besser, schnell tot zu sein. Aber sie gab nicht auf, lernte Russisch, um Eingaben selbst zu schreiben, für neue Schuhe zum Beispiel, aber auch für die Wiederaufnahme ihres Verfahrens.

Volle Rehabilitation gefordert

Mehr als fünf Jahre verbrachte sie in der Sowjetunion. Im Staatsvertragsjahr 1955 durfte sie dann überraschend heim. Auf einer Trage wurde die kranke Frau in Wiener Neustadt aus dem Zug geholt. Doch damit war ihr Leidensweg noch nicht zu Ende, denn zu Hause hatte sie keine Arbeit mehr.

Margarete Ottillinger lernte in den Lagern, konsequent zu sein. Auch danach gab sie sich mit einer Amnestierung nicht zufrieden. Sie wollte von den Sowjets volle Rehabilitation von den Spionagevorwürfen und bekam sie auch. Mit Ehrgeiz und Konsequenz wurde Ottillinger eine große Frau der österreichischen Nachkriegswirtschaft: Sie wurde Vorstandsdirektorin der ÖMV. Verhaftung, Angst und Lagerleben hätten sie geprägt, sagte sie zum Abschluss des Interviews, wenige Tage vor ihrem Tod.

Beitrag mit Interview zum Nachhören

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