Verhaltensforscherin: Was Kinder brauchen

Die deutsche Verhaltensforscherin Gabriele Haug-Schnabel war kürzlich zu Gast in Kärnten. Sie ist auf das Verhalten und die Bedürfnisse von Kindern spezialisiert. In Radio Kärnten erzählte sie, was Kinder brauchen - vor allem Stärkung ihrer Individualität.

Haug-Schnabel ist oft in Familien und Kinderbetreuungseinrichtungen zu Gast - einfach um zu beobachten, wie „die Kinder interagieren und wie die Erwachsenen-Kind-Interaktion aussieht“, so Haug-Schnabel. „Wie beantwortet der Erwachsene die mit Worten, Blicken oder Gesten gestellten Fragen. Das ist das, was das Kind einspeichert. Diese Frage darf ich stellen, dieses Verhalten darf ich zeigen. Es lohnt sich oft auch, vehementer nachzufragen, dann steigt die Chance, schneller eine Antwort zu bekommen“, so Haug-Schnabel.

Sendungshinweis:

Radio Kärnten Family, 3.1.2014

Man achte genau auf die Räume, so die Verhaltensforscherin. Wenn zuviele Kinder in einem Raum seien, beobachte man so genannte Dichtestress-Phänomene. Dies könne einen deutlichen Anstieg an Aggressionssituationen hervorrufen.

„Kinder müssen Sicherheit erfahren“

Haug-Schnabel hat auch klare Vorstellungen davon, wie ein Kind aufwachsen sollte. Grundsätzlich befürwortet sie Kinderkrippen und ähnliche Einrichtungen: „Junge Familien ziehen der Arbeit wegen in große Städte und haben dort die Netzwerke nicht. Da sind alle Angebote wunderbar, dass die Erwachsenen Kontakt untereinander bekommen und auch die Kinder andere Kinder erleben.“ In dieser Zeit müssen sie Sicherheit erfahren und die tolle Erfahrung, dass dort auch andere Menschen sind, die sich für das Kind interessieren, mit ihm lachen, es aber auch trösten. So lerne das Kind Sicherheit außerhalb der Familie, so Haug-Schnabel.

Infos Gabriele Haug-Schnabel

Gabriele Haug-Schnabel studierte Biologie und Ethnologie und spezialisierte sich auf Verhaltensbiologie. Sie beteiligte sich an Forschungsprojekten zum kindlichen Verhalten und internationalen Arbeitskreisen zur Verhaltensbeobachtung und -analyse. Sie ist Mutter von zwei Kindern und Autorin mehrerer Sachbücher.

Kinder wollen in vor allem gestärkt werden, wollen Fortschritte machen, so Haug-Schnabel: „Ein Kind merkt recht bald, ich kann schon was. Nicht schulische Leistungen im Hinterkopf haben, sondern das Kind kann entscheiden, ob es sich einen Ball holt, ob der groß oder klein sein soll“. Es gebe verschiedene Möglichkeiten, mit einem Ball zu spielen. Das Kind mache eine wichtige Selbstwirksamkeitserfahrung, das sei für die Stärkung der Kinder sehr wichtig. „Das Kind legt die Skala an, nicht der Erwachsene.“

Ganz wichtig sei es für Kleinkinder auch, zu merken, dass sie sich und ihren Tag selbst organisieren können und dürfen: „Wenn ein Kind anfängt, etwas zu arrangieren, merkt man, das Kind hat einen Plan im Kopf. Es sagt sich, heute hole ich zuerst den großen Elefanten, dann ein Buch, dann setzte ich mich hin. Das Kind spürt, es gibt einen Platz, den es mitgestalten kann“, so Haug-Schnabel.

„Das erste Lebensjahr Zuhause verbringen“

Welche Bedürfnisse haben Kinder in welchem Alter und welche ist die größte Herausforderung für Eltern? Dazu sagt Haug-Schnabel: „Im ersten Lebensjahr sollte in jedem Land die Möglichkeit geschaffen werden, dass das Kind Zuhause bei Mutter und Vater bleiben kann. Das Kind ist sehr verletzlich, braucht die Bezugspersonen, die es hören, riechen und spüren kann.“

Im zweiten Lebensjahr freuen sich Kinder, wenn sie mit anderen in Kontakt kommen. Die Eltern müssen dabei sein. Dann gibt es die Phase rund um den zweiten Geburtstag: „Da gibt es Einrichtungsmodelle, wo ich sagen würde, es ist sehr schön für ein Kind in eine solche Einrichtung zu gehen, weil die Kinder auf einem anderen Entwicklungsstand sind.“ Wichtig sei bei den begleiteten Kontakten, andere Kinder kennenzulernen, andere Interessen kennenzulernen. „Wir bereiten sie ja auf eine Welt vor, in der mit sehr viel Offenheit auf verschiedenen Situationen reagiert werden soll.“

„Individualität oberstes Gebot“

Das oberste Gebot, wenn es um die Erziehung und Entwicklung von Kindern geht, sei laut Haug-Schnabel die Individualität. Das heißt für Erwachsene, zu sehen: Wen hab ich hier vor mir? Wer ist dieses Kind? Was macht es gerne? Worin ist es gut? „Es geht nicht in die Richtung, dass ich einen kleinen Egoisten großziehe, sondern dass ich weiß, in welchen sozialen Nischen kann sich dieses Kind einbringen.“ Die Verantwortung der Erwachsenen liege darin, ein Kind für seinen Sozialraum vorzubereiten, so Haug-Schnabel. Man könne Kinder nicht nach Schema F behandeln. Wenn man die Welt ansehe, brauche man auch Leute, die sich hinstellen und sagen, „Leute, bis hierher und nicht weiter“. Es müsse erkannt werden, was an Fähigkeiten in jedem Menschen stecke.

Jeder Mensch ist anders

Dass sich Eltern und Pädagogen damit schwer tun, merkt die Wissenschaftlerin daran, dass sie immer mit denselben Anliegen zu ihr kommen: „Für Eltern ist immer ganz wichtig, dass ihr Kind nicht auffällt. Dass der Name ja nicht zu häufig genannt wird, dann glauben sie, dass sie etwas falsch gemacht haben.“ Viele sehen nicht, dass jeder ein Individuum sei, dass jeder unterschiedliche Fähigkeiten und Bedürfnisse habe. Bei den Lehrern sei der Druck stark, sie müssen alle Kinder zu einem bestimmten Zeitpunkt an einen bestimmten Leistungspunkt bringen. Es werde nicht gesehen, dass man bei vielen oben die Spitze abschneidet und bei vielen erwartet, dass sie in der gleichen Geschwindigkeit soweit sind: „Das ist nicht immer möglich.“

In der Vielfalt der genetischen Mischung, die immer spannender werde durch die interkulturelle Entwicklung, sieht Haug-Schnabel die Lösung der Weltfragen. Kinder sollten daher in ihrer persönlichen Entwicklung gestärkt werden.

„Rabauken“ machen auf sich aufmerksam

Gefragt, welches Kind sie sich zur Beobachtung lieber aussuche - ein ruhiges, angepasstes oder eines, das vorpresche - sagte Haug-Schnabel: „Ich finde alle spannend. Sie haben das ruhigere Kind genannt, da würde ich auf eine Situation warten, wo es diese Angepasstheit verliert und ich sehe, da ist Aktivität da, da ist Eigenwille da. Da sehen wir die Knospe, das Erblühen des Kindes.“

Was braucht dieses Kind?

Genauso interessant seien die männlichen und weiblichen „Rabauken“. Hier stelle sich für sie als Verhaltensforscherin die Frage, warum diese Kinder so heftig auftreten. Manchmal ließe sich das gut nachvollziehen, denn dass diese Kinder vorher viele Versuche unternehmen, mit der Lehrerin in Kontakt zu kommen, werde häufig ignoriert. „Ich sehe ein auffälliges Verhalten auch als ein Signal für den Erwachsenen, genauer hinzusehen, was dieses Kind braucht“, so Haug-Schnabel.

Man habe bei den hochbegabten Kindern oder solchen mit Spezialinteressen manche, die beide Strategien fahren: Manche ziehen sich zurück, andere würden lautstark um Aufmerksamkeit kämpfen. „Da spielt auch das Temperament eine Rolle.“ Daher sei es wichtig, den „Personal-Kind-Schlüssel“ (Anzahl der Kinder pro Betreuer) an die jeweilige Zusammensetzung der Gruppe anzupassen, damit kein Kind zu Kurz käme.

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