Sprache kann verbinden oder abgrenzen

Sprache ist Teil der Identität, dient der Verständigung, kann aber auch der Abgrenzung dienen. Im 19. Jahrhundert galt Mehrsprachigkeit als verderblich für den Nationalcharakter. Die Uni Klagenfurt beschäftigt sich mit der Rolle der Sprache bei Immigration.

Für den Bildungswissenschaftler Hans Karl Peterlini ist der Umgang mit Sprache oft sehr widersprüchlich: „Einmal ist Sprache schlichtweg der Ausdruck, mit dem wir uns mit anderen Menschen austauschen und in Verbindung treten möchten." Die Geschichte der Sprachentwicklung betreffend pflege die Menschheit einen sehr pragmatischen Umgang, sagt Peterlini: „Die Menschen und ganze Gebiete haben immer wieder die Sprache gewechselt, wenn es politisch und wirtschaftlich notwendig war. Sonst hätte es keinen Handel und keinen Austausch zwischen Tälern gegeben und schon gar nicht zwischen größeren Regionen.“

Sprache und Mehrsprachigkeit werde in solchen Fällen als etwas Nützliches empfunden, so der Experte, weil etwas dazu komme. In der Sprachwissenschaft ist von „additivem Sprachverständnis“ die Rede, wenn zu einer Sprache eine brauchbare hinzukommt.

Sprache Wörter Dictionary

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Manche Sprachen gelten als „besser“

Sprache als Kern nationaler Identität

Es gebe aber auch das Gegenteil, erklärt Peterlini. Wenn Sprache als „heiligster Kern für nationale Identität“ verstanden werde entwickle sie sich zu einem schützenswerten Gut, das durch fremde Einflüsse anderer Sprachen beschädigt werde. „Dann gilt es, dieses schützenswerte Gut möglichst abzuschotten. Es entsteht die Vorstellung, dass die eigenen Sprache leiden könnte, wenn da andere Sprachen auch noch im Raum oder im selben Kopf sind.“

Im 19. Jahrhundert etwa galt Mehrsprachigkeit für das einfache Volk als „gesundheitsschädlich“ und „verderblich für den Charakter“. Damit sei gleichzeitig auch „verderblich für den Nationalcharakter“ gemeint gewesen, so Peterlini.

Religion des Herrschers oft Religion des Volkes

Die Idee dahinter war, dass eine homogene Gesellschaft für Herrschaft und Verwaltung einfacher sei. Laut Peterlini war es schon viel früher, als eine religiöse Vereinheitlichung der Bevölkerungsgruppen in Europa in Europa vorgenommen wurde, ähnlich. Um die Herrschaft abzusichern, einigte man sich darauf, dass die Religion der Herrschenden die Religion des Volkes zu sein habe.

„Der lateinische Spruch „cuius regio eius religio“ war eine Antwort darauf, dass religiöse Vielfalt und der Protestantismus, der in die katholischen Gebiete einbricht, destabilisierend ist und deshalb eine homogene Bevölkerung, die in eine gemeinsame Idee übergeführt werden kann, leichter zu kontrollieren und zu regieren und beherrschen und – zynisch gesagt – auch auszubeuten ist.“

Peterlini: Entgrenzung sorgt für Verunsicherung

Heute befinden wir uns in einer globalisierten Welt, in der die Nationalstaaten wieder betont sein wollen. Für Peterlini ist dies eine Gegenantwort auf die Entgrenzung durch die Globalisierung und die Verunsicherungen, die damit beim Menschen aufkommen. „Das sind auch ökonomische Verunsicherungen, weil die Wirtschaftsräume nicht mehr so geschützt sind. Es sind aber auch Verunsicherungen – wer bin ich? Wo gehöre ich hin? Wo fängt das Meine an und wo beginnt das Fremde?" Das, was man für die Identität und die eigene Sprache halte, müsse in solchen Fällen abgeschottet sein.

Sprache, vor allem fremde Sprache, ist nicht gleich Fremdsprache, gibt der Experte zu bedenken: "Wenn wir uns und unseren Kindern Gutes zu tun meinen, schicken wir sie möglichst früh in mehrsprachige Kindergärten und Schulen, damit sie ehestmöglich Englisch und eventuell auch Slowenisch oder Italienisch lernen. Kommen aber Kinder aus anderen Ländern mit ihrer Sprache dazu, werde dies bald nicht mehr als Reichtum bzw. Bereicherung empfunden. Peterlini: „Dann wird Sprache zum Hindernis.“

Von Sprachprestige und Abwertung

Sprachen werden grundsätzlich unterschiedlich bewertet, sagt der Bildungswissenschaftler: „Sprachen werden nicht danach beurteilt, ob sie schön sind oder Kommunikation ermöglichen, sondern welchen kapitalisierbaren Wert sie haben.“ Es wird nach mehr oder weniger prestigeträchtigen Sprachen unterschieden. Laut Peterlini werde die Prestigesprache von den politischen Bedingungen bestimmt. In europäischen Kontexten seien es die jeweiligen Nationalsprachen und die Sprachen großer, mächtiger Nachbarländer.

Lingua franca

Darunter versteht man eine romanisch basierte Pidgin-Sprache, die sich durch Kontakt zwischen Romanen und anderen Völkern entwickelte, um miteinander kommunizieren zu können. Wird heute für jede Verkehrssprache verwendet, durch die Menschen verschiedenster Muttersprachen kommunizieren könnten.

Neben dem Englischen als „lingua franca“ gelte dies auch für das Französische. „Da gibt es Förderung und Anerkennung, wenn jemand solche Sprachen spricht. Es gibt Abwertung, wenn jemand Sprachen mitbringt, die nicht diesen Prestigewert haben.“ Hier beginne sich eine Spirale zu drehen, so Hans Karl Peterlini. Es würden damit auch jene abgewertet, die diese Sprachen mitbringen, weil sie in dem, was für sie Identität, kulturelle Herkunft und Zugehörigkeit sei, abgewertet werden. „Das ist so der Schatten, den das Prestige-Sprachendenken wirft.“

Forscher: Qualität der Muttersprache als Basis

In der Sprache steckt Identität und Zugehörigkeit. Das werde allerdings oft wenig bedacht. In der Migrationsforschung werde etwa wahrgenommen, dass sich die Migranten - teilweise mit unglaublichen Anstrengungen - bemühen würden, möglichst schnell die sogenannte Zielsprache des Landes, in dem sie ankommen, zu erlernen. Dies gelinge unterschiedlich gut bzw. schlecht.

Ihn persönlich faszinierte die Anreicherung der eigenen Sprache durch Leute, die aus einem anderen sprachlichen Kontext kommen und von einer anderen sprachlichen Herkunft seien, sagt Peterlini: „Wir erleben ja, dass Sprecherinnen und Sprecher aus anderen Ländern, wenn sie dann gut Deutsch können, sowohl in der Literatur, als auch unter Liedermachern der deutschen Sprache einen ganz anderen, neuen Klang geben. Es gelingt umso besser, desto mehr die mitgebrachte Herkunftssprache und die mitgebrachte Erstsprache, also die Muttersprache, auch gewürdigt und gefördert wird. Ich komme in der Zielsprache Deutsch auf ein höheres Niveau, wenn ich auch in meiner Muttersprache gefördert werde, weil das kommunizierende Sprachregister sind.“

Werde ein Sprecher in seiner Muttersprache abgewertet, komme man auch in der Zielsprache Deutsch nicht so weit. „Ich bin dann eigentlich doppelt benachteiligt und werde in der eigenen Sprachgruppe und Sprache herabgewürdigt. Die andere Sprachebene – ob ich mich anstrenge oder nicht – erreiche ich weniger leicht, weniger gut, weniger schnell.“

Peterlini: Sprachentwicklung nie abgeschlossen

Die perfekte Einsprachigkeit ist für Hans Karl Peterlini ein Mythos. Viel mehr braucht es ein Eintauchen in unterschiedliche Sprachwelten und dafür brauchen Sprachen Raum und Gleichwertigkeit.

„Vielfalt erfordert eine Bereitschaft, sich selbst zu öffnen und sich zu riskieren, zu wagen und sich zur Diskussion zu stellen. Sobald ich Vielfalt zulasse, muss ich die ganz sichere Herrschaftsposition verlassen. Wir wissen, dass Kulturen nie so entstanden sind. Sie sind immer aus der Mischung entstanden und indem manches preisgegeben wurde und etwas dazu kam. Die Vorstellung, dass wir in 300 Jahren alle noch so sprechen werden wie jetzt, ist absurd. Niemand weiß, wie wir sprechen werden.“