Mutter werden im Wandel der Zeit

Das Buch „Das Mystische wird bleiben“ beschäftigt sich mit der Geschichte der Geburt in Kärnten. Es ist keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern Geschichten von Frauen quer durch die Jahrhunderte; bis die Männer Geburtshilfe und Frauenheilkunde für sich in Anspruch nahmen.

Alexandra Schmidt schrieb das erste Buch zur Kulturgeschichte der Geburt in Kärnten. Die aus Deutschland stammende Historikerin lebt seit 20 Jahren in Villach und hat ganz bewusst keine rein wissenschaftliche Abhandlung geschrieben. Sehr lange Zeit war die Geburtshilfe ausschließlich Frauen vorbehalten, so Schmidt: „Ärzte durften bis ins 16. Jahrhundert den weiblichen Körper unterhalb des Halses nicht untersuchen. So ist das ganze gynäkologische Wissen, das Wissen um Frauenleiden und Geburt in Frauen gelegen. Nicht nur der Hebammen, sondern allgemein der Frauen.“

Das Mystische wird bleiben Geburt Buch

Verlag Heyn

„Das Mystische wird bleiben“, Alexandra Schmidt, 232 Seiten, ISBN 978-7084-0596-4, 34 Euro

Hebammenschule 1771 eröffnet

Auf dem Land wurden die Hebammen aus dem Kreis der Dorffrauen gewählt, es war die, die das größte Kräuterwissen hatte oder sich bei Geburten besonders geschickt angestellt hatte. Bis Ende des 18. Jahrhunderts gab es keine staatlich geregelte Hebammenausbildung. In Kärnten wurde die erste Hebammen-Lehranstalt 1771 am Heuplatz in Klagenfurt eröffnet. Ziel war aber nicht nur die eine verbesserte Ausbildung, sondern auch die staatliche Kontrolle der Geburtshilfe, so Schmidt. Nicht erfahrene Frauen unterrichteten an diesen Lehranstalten, sondern Männer, Ärzte oder Chirurgen.

Nicht nur das reine Mutterglück

Sie räumten anfangs in ihren Aufzeichnungen ganz offen ein, dass ihnen die praktische Erfahrung bei Geburten eigentlich fehlte, so Schmidt. Noch heute ist die Frauenheilkunde eine Männerdomäne. Auf diesen Wandel und auf viele andere Entwicklungen macht die Historikerin in ihrem Buch aufmerksam: „Das ist das, was ich darstellen wollte. Die Geschichte der Gebärkultur, der Geburtshilfe ist vielschichtig. Es ist nicht nur eine Geschichte der erfüllten wunderbaren Mutterschaft, sondern auch eine der unglücklichen und unerfüllten Mutterschaft, der Abbrüche, der Fehlgeburten, von Trauer, Gewalt und Schmerzen.“

Schwangerschaft Neugeborenes

Pixabay

Schwangerschaft und Geburt waren für Frauen früher oft lebensgefährlich

Kindstötungen oft aus der Not heraus

Alexandra Schmidt rekonstruierte aus den wenigen vorhandenen Quellen auch die Geschichten von verzweifelten Frauen, wie der Magd Agnes Sander aus Klagenfurt, die 1868 ihr Kind gleich nach der Geburt tötete. Sie hatte bereits ein uneheliches Kind, ein weiteres hätte sie nicht versorgen können.

Adelige Frauen hingegen sollten und mussten möglichst viele Kinder bekommen. Elisabeth Khevenhüller starb 1541 mit 22 Jahren im Kindbett. Die Kindersterblichkeit in Kärnten war noch lange Zeit danach hoch. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts belegen die Villacher Pfarrmatriken, dass durchschnittlich zwölf Prozent der Kinder bereits tot zur Welt kamen oder in den ersten vier Wochen nach der Geburt an Lebensschwäche oder anderen Komplikationen starben. Besonders traurig ist die Geschichte der Villacher Familie Wilhelmer. Zwischen 1885 und 1890 starben sechs Kinder. Sie lebten nur wenige Stunden oder Tage.

Schweres Los der Bäuerinnen

Die Mölltaler Bergbäuerin Olga Granig hatte elf Kinder. Sie schildert: „Im Jänner 1940 kam das sechste Kind an. Es war nicht leicht so allein mit den kleinen Kindern. Man sollte sich die Schmerzen nicht anmerken lassen. Auch hatten wir gerade geschlachtet und ich musste noch alles verarbeiten..“ Ihren Erinnerungen stellt Alexandra Schmidt die der Hebamme Anna Patzelt-Menne aus Griffen gegenüber. Nach der Geburt eines Sohnes trat der Vater mit ihm vor das große Hitlerbild an der Wand und sagte: „Mein Führer, ich weihe ihn Dir!“

Storch Eizelle Samen Kinderwunsch Befruchtung

Hans/Pixabay/Creative Commons CC0

Jahrhundertelang waren Schwangerschaft und Geburt in der Hand von Frauen, dann wollte der Staat mehr Kontrolle

Mutterschaft während des Nationalsozialismus war erwünscht und wurde gefördert, allerdings nicht bei allen, so Schmidt: „Der Rest, das waren nicht so wenige, wurden mit geburtenverhindernden Maßnahmen konfrontiert. Das waren Jüdinnen oder auch Menschen, die psychische oder körperliche Beeinträchtigungen hatten, Männer und Frauen, waren auch in Kärnten Zwangssterilisationen und Zwangsabtreibungen ausgesetzt. Das ist ein dunkles Kapitel, das aufgearbeitet gehört.“

Zwangsarbeiterinnen besonders betroffen

Schätzungen gehen derzeit davon aus, dass in Kärnten mindestens 568 Personen zwangssterilisiert wurden. Schwangerschaftsunterbrechnungen wurden nachweislich in Klagenfurt und Villach durchgeführt. Besonders betroffen waren in den letzten Kriegsjahren in Kärnten lebende Zwangsarbeiterinnen aus den besetzten osteuropäischen Gebieten. Wie viele Frauen betroffen waren, lässt sich heute nicht mehr ermitteln.

Elend nach dem Krieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Versorgungslage in Kärnten sehr schlecht: „Chaotische Zustände auf allen Ebenen, die Geburtshilfe musste mit dem wenigsten auskommen. Es gibt Berichte von Ärzten und Hebammen, die diese Zeit erlebt haben, die sagen, die Frauen haben Vorlagen aus Stroh und anderen Materialien bekommen. Eine Hebamme sagte, nur wenn die Engländer in die Klinik kamen und Engländerinnen entbanden, hat es Sonderrationen gegeben.“ Darauf hätten sich alle gefreut.

Hebammen „besonderer Schlag“

Alexandra Schmidt hat für dieses Buch auch viele Interviews mit Hebammen geführt. Frauen, die die Historikerin beeindruckten: „Die Hebammen sagen von sich selbst, dass sie ein eigener Schlag sind. Gestandene Frauen, die das Vertrauen der Gebärenden haben, aber auch besonnen sein und sich durchsetzen. Es waren für mich besondere Frauen, das merkt man auch.“ Das Buch ist im Verlag Johannes Heyn erschienen und wurde vom Frauenreferat des Landes und dem Frauenbüro der Stadt Villach gefördert.

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