„Herz“: Ein Buch, das hinschaut

Der in Kärnten lebende Schriftsteller Alfred Goubran hat mit seinem neuen Buch „Herz“ ein gekonntes Spiel mit der Wirklichkeit geschrieben. Seine Figuren suchen die Wahrheit, sie schauen hin, wo andere wegschauen und allein dadurch ändert sich etwas.

Alfred Goubran präsentiert mit „Herz“ mehr als nur sein neues Buch. Der Text, der sich um den ehemaligen Theaterdisponenten Muschg dreht, ist vielmehr ein weiterer Teil eines bereits mehrere Bücher umspannenden Werks, in dem manche Personen wie der Dichter Aumeier und Muschg immer wieder auftauchen. „Was ist wirklich?“ ist eine der Fragen, die in diesem Buch gestellt werden und „ist Muschg verrückt?“.

Alfred Goubran

ORF Archiv

Alfred Goubran

„Kein Buch, sondern Verfassung“

„Heute am 17. März wie an jedem Tag..“ mit diesen Zeilen beginnt eines der rätselhaftesten Bücher der letzten Jahre. Alfred Goubran nennt diesen Text „Verfassung“. Es geht tatsächlich anfangs um die Verfassung, den schwierigen Zustand eines Mannes, des ehemaligen Theaterdisponenten Muschg. Er scheint verrückt zu sein und sich in einer Anstalt zu befinden. Unklar ist und bleibt, wie er dort hinkam und warum. Den behandelnden Psychiater nennt Muschg nur verächtlich den großen Blabla, den er sicher nicht an sich heranlassen werde. Alfred Goubran selbst will sich auch nicht festlegen: „Was mich interessiert ist das in die Welt-geworfen-Sein, herauszufinden, was los ist. Es ist eine Methapher, etwas, was uns allen nicht fremd ist.“

Theater als Leidensort

Muschg erinnert sich aber durchaus an den Schriftsteller Aumeier und Dinge, die er sagte oder gesagt haben soll. Zum Beispiel an seine beißende Kritik am Kulturbetrieb. Eines steht für Muschg fest, dass für ihn als Mitarbeiter das Theater ein Leidensort war, weil sich seine Ansprüche und Ideale im Alltag nicht erfüllten. Seine Liebe zum Theater blieb, seine Sehnsucht nach den magischen Momenten, nach diesem Wunder, das Theater auch sein kann. „Wenn ich etwas wissen will, schreibe ich.“ An diesen Satz von Aumeier erinnert sich Muschg und er beginnt, heißt es, auch zu schreiben.

Goubran Roman Herz Cover

Braumüller Verlag

Er versucht, die tägliche Routine zu durchbrechen, dieses ewige „Heute am 17. März wie an jedem Tag..“, so Goubran: „Er will es wissen, das ist der Ausgangspunkt, dass man es wissen will. Man soll zumindest versuchen, zu wissen, was wirklich ist und was nicht.“ Muschg macht sich also auf den Weg, verlässt sein Zimmer häufiger und kommt so in den achteckigen Aufenthaltsraum mit seinen acht Türen.

Viele wollen nicht hinsehen

Schon im ersten Zimmer, das er betritt, erwartet ihn eine unheimliche Begegnung. Die Wirklichkeit oder das was er dafür hält, verschwimmt immer mehr mit etwas, das auch ein Traum sein könnte, vielleicht auch ein Albtraum. Es gebe viele unangenehme Sachen in der Welt, wo man nicht hinsehen wolle, so Goubran. „Der Muschg will wissen, auch der Aumeier wollte wissen. Es geht nicht darum, dass man etwas dagegen tut, es geht aber darum, die Aufmerksamkeit auf bestimmte Dinge zu lenken. Das ändert schon sehr viel.“

Am Ende bricht alles aus Muschg heraus. Er beschuldigt den Anstaltsleiter, redet von den Verbrechen der großen Familien in diesem Land, vom verschwundenen Manuskript Aumeiers, von einer Verschwörung. Am Ende weiß er aber auch nicht, was morgen sein wird. Eines weiß er aber, dass sein Herz noch immer schlägt. Und eines weiß Alfred Goubran selbst nur zu gut. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Alfred Goubran

Alfred Goubran ist der Sohn eines Ägypters und einer Österreicherin, wurde 1964 in Graz geboren und lebt seit dem Tod des Vaters in Kärnten. 1981 veröffentlichte er erstmals in Zeitschriften und hielt Lesungen. Er betreibt auch Musikprojekte; Goubran lebt in Wien.

Jedes Buch verändert den Autor

Schreiben ist für Goubran untrennbar auch mit seinem eigenen Leben verbunden. Manches, zum Beispiel Meinungen oder Interessen, werden dann von den Figuren übernommen und spielen für den Schriftsteller selbst dann keine Rolle mehr. Goubran selbst verändert sich mit jedem Buch, das er schreibt: „Der Goubran, der das ‚Herz‘ gschrieben hat ist ein anderer, als der, der ‚Das letzte Journal‘ geschrieben hat. Ich weiß auch jedesmal, wenn das Buch beendet ist, werde ich ein anderer sein. Das ist nicht immer angenehm. Denn manchmal ist das Leben gut und man weiß nicht, als was man herauskomme.“

Das Schreiben ist für ihn nicht das Ziel, sondern das Leben. „Je mehr man versucht, in die Wahrheit zu kommen, oder wahrhaftig und aufrichtig zu sein, so wird die Spache sein. Im deutschen Sprachraum ist es nicht sehr verbreiett, da lässt man sich lieber verführen. Man glaubt, es gibt gute Kunst von schlechten Menschen. Wenn man genau hinsieht ist es nicht so. Es braucht wahnsinnige Demut, um etwas durchzulassen. Die Fähigkeit, Sätze zu schreiben hält nicht lange.“

Kreisen um mächtige Familien

Das bedeutet aber auch, dass er nicht einfach aufhören kann, die Geschichte von Figuren wie Aumeier oder Muschg aus ihrer Sicht aufzuschreiben. Für die Schauspielerin Anna Kerf aus dem Roman „Aus“ wäre zum Beispiel ein Theaterstück ideal. Aber auch der Journalist Münther und Elias sollen noch in eigenen Büchern zu Wort kommen. Alle diese Texte kreisen um ein schwarzes Zentrum, mächtige Familien, wie es sie auch in Österreich gibt und ihre üblen Machenschaften, die verschwiegene Vergangenheit und die vertuschte Gegenwart.

„Ich weiß was du tust“

Goubran nennt bewusst in keinem seiner Bücher Namen. Entscheidend ist für ihn, dass er immer und immer wieder darauf hinweist: „Ich weiß, was Du tust, ich beobachte Dich.“ Wütend sind die Figuren des Schriftstellers immer wieder. Sie schimpfen gegen das an, was sie stört, womit sie nicht zurechtkommen, was sie zerstört. Muschg gegen den Theaterbetrieb, Aumeier gegen den Kulturbetrieb und das macht durchaus Sinn: „Das gehört dazu, dass man sich ausschimpft. Irgendwo muss die Aggression hin, bei manchen kommt das in der Sprache. Wenn man nicht nur ein Berserker sein will, kann man mit der Zornenergie wunderbar artikulieren.“

Das Buch spiegelt sehr genau jene Unsicherheit wieder, jenen Zustand, in dem wir heute alle leben: Was ist wahr und was nicht? Ist Muschg nun verrückt oder nicht? Das weiß er nicht einmal selbst, aber er versucht zumindest es herauszufinden. „Herz. Eine Verfassung“ ist bei Braumüller erschienen.