Frisör schafft Netzwerk für Krebspatienten
Peter Ingrassia entstammt einer Frisördynastie und hat einen Salon in Klagenfurt. Menschen teilen Freud und Leid mit dem Frisör ihres Vertrauens, so Ingrassia. Immer wieder sei es vorgekommen, dass sich Stammkunden an ihn gewandt hätten, die mit der Diagnose Krebs konfrontiert waren und wussten, dass sie durch eine Chemotherapie alle Körperhaare verlieren würden. Sie suchten Beratung und Hilfestellung, hatten viele Fragen.
Hoch emotionale Sitzungen
Fast allen gemeinsam war, dass sie in dieser speziellen Situation nicht im Salon mit allen anderen Kunden zusammensitzen wollten: „Da habe ich ihnen dann einen Abendtermin angeboten, manchmal auch mit einem Glas Sekt, denn es wurde sehr emotional. Wenn eine Frau ihre langen Haare radikal abrasieren muss, da fließen Tränen, und oft genug habe ich mitgeweint“, so Ingrassia.
Ingrassia
Viele wollen ihre Familien schonen
Als eine langjährige Freundin von Peter Ingrassia, die Therapeutin Soly Brandstätter, selbst Krebs bekam, reifte die Idee zum Projekt „Raum für Dich“. Soly, die selbst jahrelang auch Krebspatienten beratend zur Seite stand, was plötzlich mit dem eigenen Trauma konfrontiert und erfuhr, welche Bedürfnisse man in dieser Situation hat: „Krebskranke werden mehr stigmatisiert als alle anderen chronisch Kranken. Man soll ganz normal mit ihnen umgehen. Da ist soviel Verkrampfung und Mitleid. Die Familien sind auch oft fast noch mehr belastet als der Kranke selbst, sodass man sein Leid mit sich allein ausmacht, um die Familien zu schonen.“ Zur Normalität gehöre auch ein halbwegs normales Aussehen.
ORF/Petra Haas
Gerade in dieser schweren Zeit benötige man eine helfende Hand und vor allem ein Netzwerk, in dem auch Ärzte und Therapeuten mit dabei seien. Dieses Netzwerk wollen Soly Brandstätter und Peter Ingrassia nun aufbauen. Als Therapeutin, Coach und Betroffene weiß Soly genau, was ein Krebspatient nicht braucht: „Ärzte, die Prognosen abgeben und damit Gott spielen. Keiner kann eine Lebenserwartung schätzen. Krebs bedeutet heute nicht mehr automatisch ein Todesurteil.“
ORF
Von Perücke bis Permanent-Makeup
So soll der „Raum für Dich“ auch so ein Netzwerk werden, wenn es die oder der Betroffene wünsche, so Peter Ingrassia. Wir rasieren natürlich die Haare ab und beraten bei Haaerersatz wie Perücken, Kapperln oder Tüchern. Aber man wolle auch darüber informieren, dass es die Möglichkeit für ein Permanent-Makeup gebe, da ja auch Wimpern und Augenbrauen ausfallen. Soly ergänzte: „Das muss man aber spätestens bis einen Monat vor der Chemotherapie erledigt haben, weil dann die Wundheilung gestört ist. Das muss man Betroffenen rechtzeitig sagen.“ Wenn dann die Haare wirklich ausfallen, sehe man durch das Permanent-Makeup nicht so „nackt“ im Gesicht aus. Das sei auch für Männer geeignet, so Ingrassia, man müsse sie nur gut beraten.
Ingrassia
Abschied von hüftlangem Haar
In dem eigens geschaffenen Wohlfühlraum mit Sichtschutz könne man den Kunden und Kundinnen die Scheu nehmen. Sie können dort ausprobieren, wie sie ganz ohne Haare aussehen. Coach Soly sagte, die Haare fallen in Büscheln, etwa beim Duschen, aus, das sei nicht schön. Man sehe dann furchtbar aus und keiner wolle da zuschauen. Daher wählen viele den Weg, sich die Haare schon vorher komplett zu rasieren. Man könne die Haare dann auch aufbewahren, als Erinnerung.
ORF
Soly Brandstätter weiß, wovon sie spricht: „Ich war selbst in der Situation, mich von hüftlangem Haar verabschieden zu müssen. Man hat zwar einen privaten Raum in sich drin, man braucht aber auch einen privaten Raum in der Öffentlichkeit. Denn man muss mit den großen Emotionen, die bei solchen Situationen mitkommen, auch umgehen.“
Haare spielen wichtige Rolle bei Identität
Ingrassia sagte, Haare spielen ja eine ganz besondere Rolle, auch schon in der Mythologie. So verlor Samson mit den langen Haaren auch seine Kraft. Haare und Frisur seien Ausdruck der Persönlichkeit, des Modestils. Von hinten sehen Glatzköpfe alle ähnlich aus. Daher gehe es beim Haarersatz auch darum, wieder Individualität zu schaffen, die zur Person passt. Wenn Menschen die Chemotherapie dann hinter sich haben und die Haare wieder sprießen, mache man eine Coloration und einen Schnitt auch abseits der anderen Kunden. Man müsse sich im Lauf der Krebserkrankung immer wieder an ein neues Spiegelbild gewöhnen.
Ingrassia
Bisher war Ingrassia nur persönlich für solche Spezialsitzungen im Einsatz, er möchte nun einige Mitarbeiter speziell dafür schulen lassen. Denn der Umgang mit solchen Emotionen sei natürlich auch für den Frisör nicht einfach, man leide ja mit und brauche viel Fingerspitzengefühl. Soly Brandstätter ist nach der dritten Chemotherapie frei von Tumoren, die eigenen Haare sind wieder nachgewachsen.
Petra Haas; kaernten.ORF.at