Tabuthema Gewalt in der Pflege

Patientengewalt gegen Pfleger kommt immer wieder vor, sowohl in Einrichtungen als auch im privaten Bereich. Körperliche und verbale Attacken sowie sexuelle Belästigung gehören zum Alltag. Gewalt findet aber auch in die andere Richtung statt.

Neben körperlichen Übergriffen kommt es zu Verbalattacken aber auch zu sexuellen Belästigungen. Pflegedirektor Bernhard Rauter vom Klinikum Klagenfurt sagte, es sei eine Zunahme zu merken, vor allem in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, aber nicht jeder melde einen Übergriff. Eine Meldepflicht bestehe nur bei Verletzungen, sonst könne jeder Mitarbeiter selbst entscheiden, ob er das melde, so Rauter.

„Mitarbeiter bekommen Deeskalationsschulung“

Vor allem in den Hotspots wie der Psychiatrie, Notfallaufnahme (hier vor allem durch Alkoholisierte oder Drogenkonsumenten) oder Geriatrie sei das Pflegepersonal gefordert. Laut Rauter bekommen die Mitarbeiter Deeskalationstrainings, sie werden auf solche aggressiven Situationen vorbereitet. Man arbeite hier auch mit der Polizei zusammen. Im Fall des Falles sei die Frage, wie man dem Mitarbeiter helfen könne, so Rauer. Es gebe Supervision, aber auch Gruppen von Mitarbeitern, die miteinander sprechen können.

Alte Menschen Krankenhaus Gewalt

ORF

Alte und demente Menschen sind in ihrer eigenen Welt gefangen.

Demente Menschen oft emotionale überfordert

Gerade im geriatrischen Bereich wird das Phänomen Gewalt zu einer großen Herausforderung, denn es ist ein besonders sensibler Bereich. Demenzexpertin Eva-Maria Sachs-Ortner sagte, man müsse sich dessen bewusst sein, dass Demenzkranke emotional sehr verletzlich seien. Sie fühlen mehr, als sie verstehen können. Probleme entstehen aus Stress, Überforderung oder dem verzweifelten Versuch einer Selbstbestimmung. Es gebe viele Gründe, so die Expertin. Viele Betroffene können Alltagssituationen nicht mehr einschätzen.

Die veränderte Gedächtnisleistung der Dementen bedeute, dass sie länger brauchen, um zu verstehen, was um sie passiere, sie haben oft auch Angst. Wenn nun die Zeit fehle, auf die Menschen ruhig, achtsam und auf Augenhöhe zuzugehen, könne es zu heftigen Reaktionen kommen, so Sachs-Ortner.

„Menschen in ihrer Welt begleiten“

Renate Stuck, Stationsleiterin der Geriatrie sagte, die Menschen müssen in einer Welt begleitet werden, in der sie sich nicht mehr zurechtfinden. Das Chaos sei für den Betroffenen Normalität, das sei die Herausforderung für die Pfleger. Man sei nur Gast in seiner Welt, er brauche aber die Gesunden, die ihm helfen. Wichtig seien Sicherheit und Vertrauen.

Alte Menschen Krankenhaus Gewalt

ORF

Gerade in der Geriatrie braucht es Zeit und Geduld.

Die Geschichte der Menschen kennen

Bei Demenzpatienten sei es wichtig, deren Biografie und Gewohnheiten zu kennen, um Fehler im Umgang zu vermeiden. Damit es gar nicht erst zu Gewalt komme, so Stuck. Ihr selbst sei das auch schon geschehen, so die erfahrene Stationsleiterin. Sie habe eine Patientin etwas zu laut angesprochen, die Patientin habe darauf genervt reagiert. Als sich Stuck auf das Bett der Patientin gesetzt habe, um sie zu beruhigen, habe sie eine Ohrfeige bekommen. Aber gleich darauf habe sie einen Kuss auf die Wange bekommen. Damit müsse man umgehen lernen, so Stuck.

Menschen haben oft Gewalt erlebt

Man müsse auch vorher fragen, wenn man jemandem auf der Toilette helfe und zum Beispiel nicht plötzlich die Hose hinunterziehen. Das könnte als Übergriff gewertet werden, sagte Stuck. Man müsse Rücksicht darauf nehmen, was die alten Menschen in ihrem Leben erlebt haben, auch natürlich Gewalterlebnisse im Krieg oder Alltag. Jeder der mit alten Menschen arbeite, sollte Erfahrung mit Validation haben.

Es gebe bewährte Techniken für jedes Stadium der Demenz. Man sollte die Menschen nie fragen „warum“, denn das wissen sie nicht mehr, sagte Stuck. Man brauche für alles Zeit mit diesen Patienten, denn Stress erzeuge Überforderung und Aggression. „Mit schnell schnell geht beim alten Menschen gar nichts.“

Privater Bereich kaum erfasst

Die Dunkelziffer ist vor allem bei privater Pflege hoch. Angehörige sind ge- und oft überfordert, wissen oft nicht, wo sie Hilfe und Beratung bekommen können. Die Demenzexpertin sagte, gerade hier seien Schulungen unbedingt nötig.

Das Phänomen Gewalt im Pflegealltag wird in Zukunft immer mehr Beachtung bekommen. Denn die Zahl der Pflegebedürftigen steigt. Kärnten hat bereits jetzt österreichweit den höchsten Anteil von über 60-Jährigen.

Links:

PDF (299.2 kB)