100. Geburtstag von Christine Lavant

Zum 100. Geburtstag von Christine Lavant ist eine Werksausgabe von Herausgeber Klaus Amann erschienen. Das Bild von Lavant, die immer noch zu viele nur als die leidende Frau mit Kopftuch, ohne jede Schulbildung kennen, scheint sich nun zu wandeln.

Es stimmt, dass Gott in den Gedichten Lavants immer wieder eine wichtige Rolle spielt. Viele wollten die 1915 in St. Stefan im Lavanttal geborene Schriftstellerin nur zu gerne als religiöse Dichterin sehen. Eine Sichtweise, der Elisabeth Wigotschnig, die Witwe des Lavant-Erben Armin Wigotschnig, die Lavant sehr gut gekannt hat, vehement widerspricht: „Sie war nicht im herkömmlichen Sinn ein gläubiger Mensch. Sie hat mit der Kirche nicht viel zu schaffen gehabt. Sie ist zwar aufgewachsen in dieser Tradition - ihre Mutter war sehr fromm -, aber sie hat mit Gott gehadert, und das kommt ja bei ihren Gedichten sehr gut heraus.“

Christine Lavant

ORF Kärnten

Christine Lavant: 100. Geburtstag

Wigotschnig: „Lavant war gebildete Frau“

Wie sehr Lavant mit diesem ihrem Gott haderte, lässt sich nicht zuletzt in den zu Lebzeiten veröffentlichten Gedichten nachlesen. Es ist kein Zufall, dass Doris Moser, die Mitherausgeberin des ersten Bandes der neuen Werkausgabe, ihre biografischen Notizen mit „Wenn nicht Himmel, dann ordentlich Hölle“ übertitelt.

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Kulturjournal: 29.6.2015

Wigotschnig widerspricht auch dem Klischee der strickenden Frau, die in der österreichischen Provinz sitzt und wie durch ein Wunder, 1970 sogar mit dem Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur ausgezeichnete Texte schreibt. Wigotschnig: „Auch ohne Schulbildung war sie eine belesene, gebildete Frau. Sie war - was man ihr auch nicht zutraut - auch eine selbstbewusste Frau. Alle haben immer gedacht, sie ist ein kleines Weiberl mit Kopftuch und so. Im Laufe der Zeit hat man festgestellt, dass das nicht stimmt. Sie war eine selbstbewusste Frau, die auch um ihre Veröffentlichung am Anfang sehr gekämpft hat.“

Werkausgabe mit rund 4.000 Seiten

Es gilt also zum 100. Geburtstag Lavants eine Schriftstellerin neu zu entdecken. Eine wichtige Rolle dabei wird ohne jeden Zweifel die im Wallstein Verlag erscheinende Gesamtausgabe leisten. Die zu Lebzeiten veröffentlichten Gedichte sind bereits erschienen. Im Herbst folgen, herausgegeben von Amann, die veröffentlichten Prosatexte. Danach kommen zwei weitere Bände mit unveröffentlichten Gedichten und Erzählungen. Insgesamt werden es 3.500 bis 4.000 Seiten sein.

Völlig neu an dieser Werkausgabe ist, dass die Manuskripte aus dem Nachlass Lavants verwendet werden. Amann: „Es ist ein Faktum, dass die Prosa, die von ihr zu Lebzeiten erschienen ist, zu hundert Prozent von Herausgebern, von Verlegern, von Redakteuren, bearbeitet und redigiert worden war. Das hat auch damit zu tun gehabt, dass Christine Lavant den Druck ihrer Gedichte sehr genau beobachtet hat, auch die Anordnung der Gedichte war ihr sehr wichtig, die Titel der Bände hat sie überwacht. Bei der Prosa ist das nicht der Fall. Wir wissen, dass sie nach ihren ersten zwei, drei Prosapublikationen noch nicht einmal die Fahnen (ein Korrekturabzug, Anm.) angesehen hat.“

Sozialer Blick noch vor Bachmann und Haushofer

Ebenfalls bei Wallstein sind bereits die Erzählungen „Das Wechselbälgchen“ und gerade Lavants erste Erzählung „Das Kind“ aus dem Jahr 1948 erschienen. Gerade diese Erzählungen sind es aber laut Amann, die Lavant zu einer Pionierin der österreichischen Literatur machen: „Dieser soziale Blick auf Randgruppen, auf Frauen und Kinder findet statt, zehn Jahre bevor Ingeborg Bachmann auf den Plan tritt, Jahre bevor Marlene Haushofer - die einen ähnlichen Blick hat - auf den Plan tritt. Das heißt, sie ist tatsächlich eine Pionierin.“

Amann: „Pionierin mit wechselnden Perspektiven“

Eine Pionierin war Lavant laut Amann aber auch in ganz anderer Hinsicht. Ihre Erzählungen verfügen über Qualitäten, die erst heute geschätzt werden können. Amman: „Christine Lavant arbeitet in ihrer Prosa eigentlich, ohne es zu planen oder es absichtlich so anzulegen, teilweise fast ein bisschen experimentell. Sie hat sehr wechselnde Perspektiven. Einmal wird aus dem Inneren der Personen heraus erzählt, dann gibt es wieder eine allwissende Erzählerin. Sie mischt diese Formen. Und das, was wir heute als das Revolutionäre oder das Moderne an ihrer Prosa sehen, ist von ihren Zeitgenossen eher irritiert wahrgenommen worden.“

Wie sehr Lavant Schriftstellerinnen und Schriftsteller inspiriert und beeinflusst hat, zeigt der zum 100. Geburtstag erschienene Band „Drehe die Herzspindel weiter für mich“ mit Beiträgen von Friedrike Mayröcker, Raphael Urweider, Michael Krüger, Christoph W. Bauer und Teresa Präauer.

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