Barrierefreiheit: Wirtschaft hat Sorgen

Bis Ende 2015 müssen alle Geschäftslokale barrierefrei sein. In Kärnten wurde schon jetzt ein Klagenfurter Juwelier von einem Mann mit Behinderung angezeigt, weil eine Stufe beim Eingang zum Geschäft zu hoch war und er sich daher diskriminiert fühlte. Am Dienstag gab es einen Lokalaugenschein.

Der Schauplatz war das Juweliergeschäft in der Klagenfurter Bahnhofstraße. Dazu geladen hatte die Wirtschaftskammer, die auf die Problematik des Behindertengleichstellungsgesetzes hingewiesen hat. Eine meterlange Rampe aus Holz wurde kurzerhand vor das Geschäftslokal von Max Habenicht positioniert. Sie soll verdeutlichen, welche Größe eine gesetzeskonforme Rampe haben muss.

Umsetzung wird heikel

Die Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes ist, laut Vertretern der Wirtschaftskammer, alles andere als einfach. Gilt es doch verschiedensten Ö-Normen gerecht zu werden, um das Gesetz korrekt umzusetzen, weiß der Baumeister und gerichtlich beeidete Sachverständige Hans Steiner. „Rein technisch haben wir das Problem, dass unserer rechtlichen Bestimmungen einfach zu detailliert sind, um auf eine Lösung zu kommen. Andererseits haben wir im Genehmigungsverfahren keine Möglichkeit um auf ein rechtssichere Lösung zu kommen. Um so eine Rampe zu bauen, bedarf es der Zustimmung des Hauseigentümers, des Grundeigentümers, in diesem Fall ist es die öffentliche Hand. Hinzu kommen das Bundesdenkmal-Amt und eine Straßenrechts-Genehmigung als Voraussetzung für die Baubewilligung. Eventuell kommen dazu sogar eine Erweiterung der Betriebsstätten-Genehmigung und schließlich noch das Baubewilligungsverfahren.“

Eine Alternative wäre, laut Steiner, dass die öffentliche Hand vorhandene Straßenzüge so renoviert, dass Eingänge zu Geschäftslokalen auf dem Straßenniveau liegen. Als positives Beispiel nennt der Experte die Klagenfurter Burggasse und die 10. Oktober Straße.

WK-Vertreter orten Ungleichheiten

Wirtschaftskammer-Vertreter Helmut Hinterleitner sieht bei der Umsetzung der Regelung eine Ungleichheit zwischen Wirtschaftstreibenen und der öffentlichen Hand: „Wir fordern eine Gleichstellung von gewerblichen Betrieben, wie es auch die öffentliche Hand hat. Klartext ist, dass die Wirtschaft mit 31.12.2015 Maßnahmen zu setzen hat und alle öffentlichen Gebäude eine Sonderregelung haben bis 2019. Hier liegt eine Wettbewerbsverschiebung vor und es ist ja so, dass Kunden in der Wirtschaft wählen können. Wenn man aber öffentliche Gebäude aufsuchen muss, hat man keine Chance auf Alternativen.“

Zudem fordert Hinterleitner auch eine finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand für Unternehmer die das Gesetz baulich umsetzen. Das Klagenfurter Rathaus wurde bereits behindertengerecht umgebaut, das Landhaus beispielsweise wird ab Herbst nächsten Jahres adaptiert. Laut Landtagsdirektor Robert Weiß wird eine halbe Million Euro für Rampen, Behinderten WC-Anlagen und einen Lift ausgegeben.

Wirtschaft fordert Flexibilität

Der ÖVP-LAbg. Markus Malle, er ist auch Wirtschaftssprecher der Kärntner Volkspartei, sagte am Dienstag zu dem Thema: „Selbstverständlich bekennen wir uns zur Barrierefreiheit, regen dabei aber etwas mehr Flexibilität und Hausverstand an." Laut Malle sind zu viele Fragen offen, um sie in der jetzt noch verbleibenden Übergangsfrist zu lösen.

Gemäß Behindertengleichstellungsgesetz wurde die Übergangsfrist für den Abbau von Barrieren in Bauwerken der Privatwirtschaft mit Ende 2015 festgesetzt. Der Bund hingegen hat für den Abbau von Barrieren in öffentlichen Gebäuden eine Übergangsfrist bis 2019. „Diese Ungleichbehandlung zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft sehen wir nicht ein“, sagte Malle.

Bis zu zehn Jahren Übergangsfrist

Die Kärntner Behindertenanwältin Isabella Scheiflinger verwies auf die bis zu zehnjährigen Übergangsfristen für Unternehmer bei der Herstellung der Barrierefreiheit verwiesen. Außerdem nehme das Gesetz aus dem Jahr 2006 sehr wohl Rücksicht auf andere rechtliche Beschränkungen wie den Denkmalschutz und die wirtschaftliche Zumutbarkeit.

Laut Scheiflinger leben heute 20 Prozent aller Menschen mit unterschiedlich schwer ausgeprägten Behinderungen, „eine sehr große potenzielle Kundengruppe“. Dennoch wüssten einer kürzlich durchgeführten Umfrage unter 100 Kärntner Unternehmen zufolge drei Viertel der Betriebe nichts von den Auflagen durch das Behindertengleichstellungsgesetz.

Angesprochen auf den Vorschlag im konkreten Fall eines Klagenfurter Juweliers, vor der 11,5 Zentimeter hohen Stufe an der Eingangstür eine Klingel zu installieren, reagierte Scheiflinger reserviert. „Sonderregelungen“, die dann nur von Menschen mit Behinderung in Anspruch genommen werden, seien nicht zu empfehlen. „Grundsätzlich fordere ich eine umfassende Barrierefreiheit. Im Einzelfall, wenn das nicht möglich ist, muss man sich anschauen, was eine Verbesserung bringt“, so die Behindertenanwältin. Auch ein zweiter, barrierefreier Eingang wäre eine Fortführung der Diskriminierung.