Barrierefreiheit wird nicht kontrolliert

Seit Anfang des Jahres müssen alle Betriebe in Österreich barrierefrei zugänglich sein. Viele Betriebe und Einrichtungen setzten die Vorschrift aber noch nicht um. Vertreter der Betroffenen kritisieren die fehlende Kontrolle.

Eine Stufe am Eingang, zu enge Lifte und Türen sind Hürden für Rollstuhlfahrer. Unternehmer, die neu bauen, müssen auf diese Dinge achten und nach dem Bundesbehinderten-Gleichstellungsgesetz Barrierefreiheit gewährleisten. Diese Barrierefreiheit gibt es in Österreich zumindest auf dem Papier. Die Praxis sieht aber anders aus, meinen Vertreter von Menschen mit besonderen Bedürfnissen.

Hauptproblem sei, dass es keine Kontrolle des Gesetzes gebe, sagt etwa Rudolf Kravanja, Präsident des Österreichischen Zivil-Invalidenverbandes Kärnten (ÖZIV): „Fühlt man sich durch die baulichen Hürden diskriminiert, kann man eine Schlichtung beantragen und hat dann die Möglichkeit, vor Gericht zu gehen. Daher gibt es keinen Druck bei den Betrieben“, so Kravanja. „Die Finanzpolizei kontrolliert, ob sich Betriebe an die Registrierkassenpflicht halten. Warum kann es nicht auch bei diesem Gesetz eine Kontrolle geben? Betroffene haben hier keine Rechte.“

Barrierefrei Stufe Rollstuhl

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Solche Stufen sind für Rollstuhlfahrer nur schwer überwindbare Hindernisse

„Kontrolle nicht möglich“

Laut Edda Kutternik, stellvertretende Leiterin der Abteilung für die Unterstützung der beruflichen und gesellschaftlichen Inklusion von Menschen mit Behinderung des Sozialministeriumservice, ist eine Kontrolle verwaltungstechnisch nicht möglich: „Wer soll das kontrollieren? Wir haben nicht die Mittel dazu. Das ist nicht administrierbar, außerdem würden dann Umweltbehörden oder die Feuerwehr auch Kontrollen für dieses und jenes verlangen.“

Weg vor Gericht wird oft gescheut

Der Aufwand bleibt bei den Menschen mit besonderen Bedürfnissen selbst. Sie müssten die Barrierefreiheit bei jedem einzelnen Betrieb einklagen, zuvor wird eine Schlichtung beim Sozialministeriumservice beantragt. Erst wenn Betroffene und Unternehmer keine Lösung finden, geht die Sache vor Gericht. In Kärnten habe es bislang ungefähr 40 bis 50 Schlichtungsverfahren gegeben, sagte Kravanja, Gerichtsverfahren gab es selten. „Kann man sich nicht einigen, schrecken betroffene Menschen oft davor zurück, vor Gericht zu gehen, da sie die Kosten selbst übernehmen müssen“, sagte Kravanja. Auch das sei vom ÖZIV kritisiert worden, „leider ohne Erfolg.“

Umbauten mit Kosten von 5.000 bis 10.000 Euro können Unternehmen durchaus vor Finanzierungsprobleme stellen. Kravanja dazu: „Ich möchte vor allem darauf hinweisen, dass wir mit den Unternehmen zusammenarbeiten und nach Lösungen suchen wollen. Wir suchen die Diskussion und möchten verhindern, dass Menschen mit mit besonderen Bedürfnissen als die Buhmänner betrachtet werden.“

Wirtschaft beruft sich auf Rampen- und Klingellösung

Die Wirtschaftskammer stellt sich vor ihre Mitglieder. Vor allem mit Rampen- und Klingellösungen sei die Barrierefreiheit „soweit von allen Unternehmen erfüllt“, sagte Raimund Haberl jun., der Obmann der Sparte Handel der WK Kärnten und Farbenhändler in Villach. Bei der Klingellösung wird an Eingängen eine Klingel angebracht, die beeinträchtigte Personen betätigen können, um dann von Mitarbeitern des Betriebes Hilfe zu bekommen. „Jedes Unternehmen kann für sich selbst entscheiden, wie es Barrierefreiheit umsetzt. Auch in unserem Betrieb haben wir uns für die Klingel entschieden“, sagte Haberl.

Klingellösung für Betroffene „erniedrigend“

Für Vertreter der Betroffenen ist die Klingellösung allerdings nicht ausreichend. „Die Klingel ist keine Lösung. Es ist erniedrigend, sich in ein Lokal hineintragen zu lassen", sagte Rudolf Kravanja. Bei Villacher Geschäften gebe es außerdem oft einen zweiten, barrierefreien Hintereingang beim Lager. "Auch das kann nur eine Übergangslösung sein“, so Kravanja.

Auch Arztpraxen stellen oft ein großes Problem dar. „Die meisten sind nur mit einer Stiege erreichbar und wenn es einen Lift gibt, ist er oft zu schmal, um von Rollstuhlfahrern benützt werden zu können.“ Generell werde eine hundertprozentige Barrierefreiheit nie möglich sein, sagte Kravanja, „aber man sollte sich zumindest 80 bis 90 Prozent als Ziel setzen“. Es gebe aber noch zahlreiche Betriebe mit Nachholbedarf, sagte auch Isabella Scheiflinger, Behindertenanwältin des Landes Kärnten.

Wirtschaft hat Förderung „verschlafen“

Bis 1.1.2016 hätte man auch für den Umbau selbst finanzielle Unterstützung bekommen können. Laut Kutternik vom Sozialministeriumservice, wurde diese Förderung nur von wenigen in Anspruch genommen. Immerhin wurden Förderungen bis zu 25.000 Euro jährlich gewährt: „Das hat die Wirtschaft verschlafen. Im Jahr 2015 gab es nur ungefähr 16 Anträge.“ Eine Weiterführung der Förderung ist nicht geplant. Die geförderten Umbauten werden vom Sozialministerium kontrolliert, um sicher zu stellen, dass diese auch wie geplant umgesetzt werden.

Eine bauliche Beratung für Umbaumaßnahmen wird von der Wirtschaftskammer (WK) noch immer gefördert. Die WK übernimmt 50 Prozent und maximal 500 Euro für eine Beratung von Bauexperten für Mitglieder der WK. Außerdem werden Sprechtage in Bezirksstellen mit Beratern vor Ort gratis angeboten. Für den Bau selbst muss man alleine aufkommen. „Dazu gibt es öffentliche Förderstellen, wo man zinsgünstige Kredite oder sogar Zuschüsse bekommt“, betonte Alfred Puff, Förderberater der WK Kärnten. Zusätzlich sei aber auch eine Beratung durch Interessensvertreter empfehlenswert, sagte Behindertenanwältin Scheiflinger.

Ausnahmen bestehen für Altbauten

Neubauten bekommen laut Kutternik vom Sozialministeriumservice ohne barrierefreie Planung gar keine Bewilligung mehr. Bei Altbauten gestalte sich die Gleichstellung von Behinderten und Nicht-Behinderten etwas schwieriger. Für sie gelten daher unter Umständen Ausnahmen von der Barrierefreiheit, sagte Scheiflinger.

Als Altgebäude gelten Gebäude, die vor dem 1.1.2006 gebaut worden sind. Ausnahmen bestehen, wenn die vollständige Barrierefreiheit aus rechtlichen Gründen nicht hergestellt werden darf. Das sind etwa Bestimmungen für den Brand- oder Denkmalschutz. Ein anderer Grund für eine Ausnahme ist, wenn dem Unternehmen der Aufwand wirtschaftlich nicht zumutbar ist. Dabei muss es sich um einen Kostenaufwand von mehr als 5.000 Euro handeln. Vorausgesetzt wird außerdem, dass sich das Unternehmen mit der Frage der Barrierefreiheit intensiv auseinandergesetzt hat und zumindest Maßnahmen getroffen wurden, um die Situation der Betroffenen zu verbessern.

Tanja Wieser, kaernten.ORF.at

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